1906 -
München
: Oldenbourg
- Hrsg.: Lehrerinnen-Verein München
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Feiertagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): Mädchen
262
166 Deutsche Weihnachtsbräuche.
so begnügte sich das deutsche Volk, als es zum Christentume bekehrt war,
auch bald nicht mehr damit, die liebliche Erzählung von der Geburt des
Weltheilandes von seinen Predigern vorlesen zu hören oder selbst zu lesen,
sondern es machte sich auch daran, diese Erzählung selbst darzustellen.
Schon die fromme Kaiserin Helena, Konstantins d. Gr. Mutter, hatte in
der Kirche, die zu Bethlehem über der Höhle errichtet war, welche als die
Geburtsstätte des Heilandes bezeichnet wurde, eine kostbare Krippe aus
weißem Marmor errichten lassen. So ließ auch der hl. Franziskus von
Assisi i. I. 1221 mit Erlaubnis des Papstes in seiner Kirche eine kostbare
Krippe aufrichten, und um den Stall der Geburt anzudeuten, stellte man
einen Ochsen und Esel daneben. Bald gab es fast keine Kirche mehr, in
der nicht eine mehr oder weniger kostbare Krippe oder Wiege, manchmal
sogar mit einem Bilde des göttlichen Kindes, während der Weihnachts-
feiertage aufgestellt wurde. Später saßen sogar an den Seiten desselben
Maria und Joseph. Joseph wiegte das in der Krippe liegende Kind,
während Maria ein liebliches Wiegenlied sang. Zuweilen sang auch die
ganze Gemeinde das Wiegenlied mit oder es trat nur eine Schar Kinder
singend an die Wiege heran. Als nach der Reformation die Aufstellung
von Krippen in den Kirchen seltener wurde, fing man an, diesen Ge-
brauch in den Wohnhäusern nachzuahmen.
Ein weiterer Schritt war die Darstellung der hl. Weihnachts-
geschichte in den sogenannten „Weihnachtsspielen". Leute eines Ortes
vereinigten sich, entweder auf einer eigens dazu errichteten Bühne oder
in den Wohnstuben ihrer Nachbarn, die Geschichte der Geburt Jesu
aufzuführen. Wie an einigen Orten der erwähnte Knecht Ruprecht, so tritt
an anderen das Christuskindlein mit einem Engel auf und fragt vor
der Aufführung nach dem Betragen der Kinder und des Gesindes. Es
lobt dann die Braven, ermahnt die, über welche geklagt wird, und ver-
teilt Geschenke. Dieses sogenannte „Christkindelspiel" ist an vielen Orten
das einzige, was sich von den Weihnachtsspielen noch erhalten hat.
Zum Schluß sei noch einer in Norddeutschland üblichen Sitte gedacht,
bei welcher sich sogar der alte Name des heidnischen Sonnenwendfestes,
das man auch „Julfest" nannte, erhalten hat. In Holstein, Mecklen-
burg und den angrenzenden Ländern wickelt man nämlich Geschenke für
Bekannte und Verwandte in eine möglichst große Zahl von Umhüllungen,
z. B. in 20 oder 30 Bogen Papier. Während der Bescherung werden
sie dann, ohne daß man weiß, von wem sie kommen, zur Tür hinein-
geworfen und dabei wird der Name dessen gerufen, für den sie bestimmt
sind. Zuweilen wird auch der Name des Empfängers auf die Um-
hüllung geschrieben. Ein solches Geschenk heißt Julklapp.
___ : _ _____________ -_____- ______ _________________
A. Richter.