1891 -
München
: Oldenbourg
- Autor: Lehrerinnen-Verein München
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten, Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten, Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Feiertagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): Mädchen
58. Die Baumwolle.
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und doch wird die meiste Arbeit durch kunstvolle Maschinen
verrichtet, deren manche 100000 Spindeln hat, also die Arbeit
von 100000 Menschen ausführt. — Ein gewaltiger Schlot und
der riesige Würfel eines Bauwerkes mit mehr als 800 Fenstern
auf jeder Seite, ragen über alle Gebäude empor. Wir suchen
ihn auf und treten in diese Riesenfabrik ein. Durch einen Wirr-
warr von Wegen und Gängen kommen wir endlich in das Arbeits-
zimmer des Fabrikberrn, in welchem uns ein Führer beigegeben
wird. Wir stehen zuerst vor zwei Ungeheuern, in deren Innern
es rast und tobt wie ein gefesselter Sturm, der alle Wände seines
Gefängnisses sprengen möchte. Das sind die Bläser. »Was thun
sie?« fragen wir den Jungen vor der einen Maschine. »Das!«
sagt er, indem er eine tüchtige Hand voll Rohbaumwolle aus
dem Ballen reifst, und sie, nachdem er uns den Schmutz, die
Holzstückchen und Knoten darin gezeigt, seiner Maschine gleich-
sam zu speisen gibt. Sie zupft daran etwa wie eine Kuh, der
man eine Hand voll Heu vorhält. Der Junge holt darauf einen
ganzen Arm voll baumwollenen Schnees unter der Maschine
hervor und behauptet, dass dies die eben verzehrte Hand voll sei.
Wir zweifeln, und er zeigt uns, wie es zugeht. Im Innern wird
die Baumwolle mit rasender Kraft und Geschwindigkeit zerzaust
und hin- und hergeworfen, so dass alle fremdartigen Bestand-
teile zu Boden fallen.
»Nun ist sie rein und reif zum Spinnen,« denken wir. Das
ist aber ein Irrtum. Es war die erste von mehr als zwölf ähn-
lichen Reinigungen. Die nächsten sehen wir unter den beiden
Rohrbläsern, einer ganzen Reihe dampfender und pfauchender
Höhlen, in welche der baumwollene Schnee wie ein milchiger
Regen herabströmt. Wir sehen in das Innere hinein und finden,
dass die Baumwolle gleich am Eingänge von einer furchtbaren
Windkraft in den dünnsten Nebel zerblasen wird. Stählerne
Flügel bewegen sich in diesem Raume so rasch, dass sie zu einem
kaum sichtbaren Nebelflecke verschwinden. Hier werden die
Samenkörner und kleinen, fremdartigen Bestandteile vollends ab-
gesondert und durch Ritzen unten zu Boden geschleudert, wäh-
rend die leichten Baumwollenfasern von Wurfschaufeln im Fluge
erhalten werden, bis sie am entgegengesetzten Ende wie ein im-
merwährender Schneesturm herausfliegen, so dass wir im Um-
sehen wie lebendige Schneemänner neben einander stehen. Gegen-
über wird der Baumwollenschnee von Käfigen verschlungen, die