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1. Lesebuch für weibliche Fortbildungs- und Feiertagsschulen - S. 210

1891 - München : Oldenbourg
210 15. Das Moos. sind nicht grösser als ein Nadelkopf. Wie zierlich überziehen sie den Grund des Waldes! Hier wölben sie dichte Polster von dunkel- grüner Farbe. Diese tragen lange, goldene Fäden mit Knöpf eben und goldnen Kronen darauf. Das ist das goldne Frauenhaar. Dort bilden gelblichgrüne Pflänzchen mit vielen Ästen weiche Ruhekissen. Mehr als hundert verschiedene Arten von Moosen leben still in Wald und Sumpf, an Stämmen und Felsenwänden, an Mauern und auf Dächern. Wie schwach ist doch solch ein Pflänzchen! Sein Stengel ist von schön geformten Blättchen dicht umhüllt und kaum so stark als ein Fädchen Zwirn. Der Fufstritt eines Vogels wirft es um; ja, ein Käfer, der vorbeiläuft, stöfst das einzeln stehende zuboden. Drum hat der liebe Gott auch immer grosse Gesellschaften, tausend und abertausend solcher Pflänzchen neben einander wachsen lassen. Diese Zwerglein richten in Gesellschaft gar manches aus. Wenn im rauhen Herbst die stolzen Bäume ihre gelben Blätter verlieren, dann ist das Moos am schönsten grün und wächst am besten. Es fängt die Eicheln und die Nüsse der Buchen und Haseln auf und umhüllt sie weich und warm. Die starken Bäume, die im Sommer so stolz auf das kleine Moos herabgesehen, frieren und zittern im Schneegestöber. Das weiche Moos kriecht an den Stämmen empor und ist ein warmes Winterkleid für sie. Die tausend Käfer des Sommers suchten sich Verstecke, als der rauhe Herbstwind kam. Sie krochen hinein ins weiche, warme Lager von Moos und schliefen da den ganzen langen Winter hindurch. Hier liegen runde Häufchen Spinneneier, dort ähnliche von Schmetter- lingen. Hier hat eine Raupe ihr Winterlager ausgesucht; dort ruht zusammengerollt eine Blindschleiche. Jetzt taut der Schnee. Die Tropfen eilen hurtig nach dem Bache. „Halt I" ruft das Moos den Flüchtigen zu. Mit seinen hundert Ärmchen hält es ihrer viele fest. „Ich habe viele Kinder,“ sagt es, „die brauchen Morgentrank!“ Das Moos reicht jedem von ihnen sein Tröpfchen: der Eichel, der Hasel- nuss, den Samenkörnchen von der Flockenblume und vom Vergiss- meinnicht; sie wachsen auf und trinken und keimen, und das Moos schützt die zarten Sprossen vor dem kalten Märzenhauch. Die Pflänzchen kommen nun allenthalben hervor; die Käfer kriechen heraus; die Schnecken schlüpfen ans Tageslicht, und aus den Puppen kommen schöne Schmetterlinge. Aus fernen Ländern kehren Rot- kehlchen und Nachtigallen wieder und beginnen ihre Nester zu bauen. Sie tragen Reischen in den neubelaubten Busch und flechten sie in einander. Nun fehlt es noch an einem weichen Bettchen für die Eier und die künftigen jungen Vögel. Da fliegen die Alten zum weichen Moos und bitten um seine Hilfe. Gutwillig gibt es seine Pflänzchen her, dass die Vögel ihre Nester ausfüttern können. Bald kommt auch das Häslein und das Reh. Sie suchen ein sicheres und trauliches Versteck, wo sie die jungen Hasen und Rehe pflegen können. Für sie breitet sich das Moos als weicher Teppich aus, auf dem sie alle ein schönes Lager haben.
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