1891 -
München
: Oldenbourg
- Autor: Lehrerinnen-Verein München
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten, Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten, Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Feiertagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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1. Hertha.
Ferse bis zum Scheitel, tragen sie das Zeichen des freien Mannes, den
breiten Schild und den gewichtigen Speer, in den starken Armen. Ja,
man sieht es ihnen an, das sind die Herren der Wälder, die gewaltigen
Helden, welche flüchtigen Laufes den Ur im Dickicht ereilen und ihn
kämpfend mit dem Speere erlegen. Stolz auf solche glücklich bestandenen
Kümpfe, tragen sie die Zeichen ihrer Siege an ihrem Leibe. Es sind
die Häute des erlegten Wildes, mit denen sie sich bekleiden.
Wer sind die Männer? Es sind die Ureinwohner unseres Vater-
landes, die Sueven, und zwar die edelsten Stämme derselben, die
Semnonen, welche zwischen der Elbe und Oder wohnten, und ihre Nach-
barn, die kriegerischen Longobarden. Sie und noch andere freie deutsche
Männer sind gekommen, um das Frühlingsfest zu feiern zur Ehre ihrer
Göttin Hertha. Schon ist diese — das haben die Priester geschaut und
verkündigt — herabgestiegen auf ihren Wagen im heiligen Hain; schon
haben die Priester den Wagen bespannt mit den geweihten Kühen und
ihn bedeckt mit köstlichen Teppichen. Erwartungsvoll steht die Menge.
Da nahet der Zug der Priester mit dem Wagen der Göttin, welche, un-
bemerkt von dem Volke, sich freut über ihre Schöpfung und über die
Zeichen der Verehrung, die man ihr zollt. So fährt sie auf der Insel
umher.
Da waren denn die Tage fröhlich und die Orte festlich, welche die
Göttin mit ihrer Gegenwart beglückte; man zog in keinen Krieg, ergriff
keine Waffe zum Kampf; alles Eisen ruhte; man kannte nur Friede
und Freude. War der Wagen mit der Göttin vorüber, dann belustigte
man sich auf mancherlei Weise. Dort tanzten Jünglinge zwischen auf-
gestellten Schwertern; hier unterhielt man sich durch das beliebte Wür-
felspiel. Da saßen und tranken sie aus dem Horn des Ur den be-
rauschenden Met und lauschten auf den Gesang des Barden, welcher in
Liedern die Heldenthaten der Tapfersten besang. Wenn aber die Göttin
des Umgangs mit den Sterblichen müde war, dann führten die Priester
den Wagen zurück in das Innerste des Haines. Dort wurde sie nebst
W agen und Teppichen in dem geheimnisvollen See gebadet. Die Sklaven,
welche man dabei gebrauchte, kehrten nie zurück; sie wurden von dem See
verschlungen. Daher entstand dann ein geheimes Grauen und eine
heilige Scheu vor dem, das nur die schauen durften, welche starben.
Jene Insel des heiligen Haines steht noch im Meer; sie ist das
lieblichste Eiland der Ostsee. Ihr Name ist Rügen. Noch zeigen die
Eingebornen dem Fremdling den heiligen Hain, wo einst freudige und
freie Menschen sich zum Frühlingsseste der Mutter Erde versammelten
und der Priester mit dem Wagen den fröhlichen Umzug hielt. Noch