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1. Lesebuch für weibliche Fortbildungs- und Feiertagsschulen - S. 264

1891 - München : Oldenbourg
264 1. Hertha. Ferse bis zum Scheitel, tragen sie das Zeichen des freien Mannes, den breiten Schild und den gewichtigen Speer, in den starken Armen. Ja, man sieht es ihnen an, das sind die Herren der Wälder, die gewaltigen Helden, welche flüchtigen Laufes den Ur im Dickicht ereilen und ihn kämpfend mit dem Speere erlegen. Stolz auf solche glücklich bestandenen Kümpfe, tragen sie die Zeichen ihrer Siege an ihrem Leibe. Es sind die Häute des erlegten Wildes, mit denen sie sich bekleiden. Wer sind die Männer? Es sind die Ureinwohner unseres Vater- landes, die Sueven, und zwar die edelsten Stämme derselben, die Semnonen, welche zwischen der Elbe und Oder wohnten, und ihre Nach- barn, die kriegerischen Longobarden. Sie und noch andere freie deutsche Männer sind gekommen, um das Frühlingsfest zu feiern zur Ehre ihrer Göttin Hertha. Schon ist diese — das haben die Priester geschaut und verkündigt — herabgestiegen auf ihren Wagen im heiligen Hain; schon haben die Priester den Wagen bespannt mit den geweihten Kühen und ihn bedeckt mit köstlichen Teppichen. Erwartungsvoll steht die Menge. Da nahet der Zug der Priester mit dem Wagen der Göttin, welche, un- bemerkt von dem Volke, sich freut über ihre Schöpfung und über die Zeichen der Verehrung, die man ihr zollt. So fährt sie auf der Insel umher. Da waren denn die Tage fröhlich und die Orte festlich, welche die Göttin mit ihrer Gegenwart beglückte; man zog in keinen Krieg, ergriff keine Waffe zum Kampf; alles Eisen ruhte; man kannte nur Friede und Freude. War der Wagen mit der Göttin vorüber, dann belustigte man sich auf mancherlei Weise. Dort tanzten Jünglinge zwischen auf- gestellten Schwertern; hier unterhielt man sich durch das beliebte Wür- felspiel. Da saßen und tranken sie aus dem Horn des Ur den be- rauschenden Met und lauschten auf den Gesang des Barden, welcher in Liedern die Heldenthaten der Tapfersten besang. Wenn aber die Göttin des Umgangs mit den Sterblichen müde war, dann führten die Priester den Wagen zurück in das Innerste des Haines. Dort wurde sie nebst W agen und Teppichen in dem geheimnisvollen See gebadet. Die Sklaven, welche man dabei gebrauchte, kehrten nie zurück; sie wurden von dem See verschlungen. Daher entstand dann ein geheimes Grauen und eine heilige Scheu vor dem, das nur die schauen durften, welche starben. Jene Insel des heiligen Haines steht noch im Meer; sie ist das lieblichste Eiland der Ostsee. Ihr Name ist Rügen. Noch zeigen die Eingebornen dem Fremdling den heiligen Hain, wo einst freudige und freie Menschen sich zum Frühlingsseste der Mutter Erde versammelten und der Priester mit dem Wagen den fröhlichen Umzug hielt. Noch
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