1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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2♦ Gedanken eines aus der Schule Entlassenen.
Gestern betrat ich wohl für lange Zeit zum letztenmal den Weg,
der stch allmählich den Hügel hinaufschlängelt und zu dem von wildem
Wein umrankten Schulhause führt. Wie oft war ich in ftöhlicher
Zugendlust den schmalen, mit grünem Rasen überwucherten Pfad hinaus-
geeilt, um, allen Kameraden voran, als der erste das Schulzimmer zu
betreten! Wie so manches Mal war ich aber auch füll und gedrückt den Hügel
hinabgeschlichen, wenn ich vom Lehrer Strafe erhalten hatte für schlechte
Erfüllung meiner häuslichen Pflichten! Aber lange pflegte dieses Gefühl
der Beschämung nicht von meinem Herzen Besitz zu ergreifen; denn der
kecke Jugendübermut zerteilte nur zu bald die Schatten, die der Verweis
des Lehrers in meiner schuldbeladenen Seele heraufbeschworen hatte. Auch
an diesem Tage trat ich ftöhlichen Mutes aus dem Hause meiner Eltern
heraus, um noch einmal den Weg zum Schulhause zu beschreiten. Aber
merkwürdig! Je näher ich dem Schulhause kam, desto mehr sank mir
der jugendliche Übermut und machte einer mir selbst unverständlichen
Traurigkeit und Wehmut Platz. Dämmerte in diesem Augenblicke schon in
meiner Seele die dunkle Ahnung auf, daß ich mich als Mann noch oft
nach den Schuljahren als der besten Zeit meines Lebens zurücksehnen
würde? Ahnte ich jetzt schon, daß das spätere Leben noch so manche
bittere Erfahrung, so manches Weh und Leid mit sich bringen würde?
Tief ernst gestimmt, ttat ich daher in das Schulzimmer und setzte mich
füll und ruhig auf meinen Platz, ohne mich wie sonst an dem lärmenden
Geschrei meiner Mitschüler zu beteiligen. Jetzt tat sich die Türe auf,
und herein trat der Lehrer. Sofort verstummte der Lärm, und jeder
suchte in eiliger Hast seinen Platz zu erreichen. Ich weiß nicht, wie
es kam, aber heute erschien meinen Augen der Lehrer so ganz anders,
so wunderbar verwandelt; denn verschwunden schien mir aus den ernsten
Zügen die Sttenge, und die treuen Augen blickten so mild und versöhn-
lich auf uns Knaben herab, als hätte es niemals Zeiten gegeben, wo
wir vor dem strengen Zornesblicke dieser Augen gezittert hatten. Ich,
der sonst immer so keck dem Lehrer ins Angesicht schauen konnte, ver-
mochte dem warmen Sttahl, der uns aus seinen Augen entgegen-
leuchtete, nicht standzuhalten. Ein unerklärliches Gefühl tiefer Beschämung
und namenloser Reue stieg in meiner Seele empor und ließ mich in
meinem Innern innige Abbitte tun für all den Verdruß, den ich dem
Lehrer in dem Unverstände meines Herzens nur zu häufig zugefügt hatte.
Ja, als der Lehrer nun mit herzlichen, warmen Worten, aus denen
man deutlich das innigste Mttgefühl heraushören konnte, Abschied von
uns nahm, da ttaten mir unwillkürlich Tränen in die Augen, und ich
mußte meinen ganzen ttotzigen Knabenmut zusammennehmen, um nicht in
lautes Weinen auszubrechen. Als der Lehrer jedoch zuletzt jedem von uns
die Hand reichte und persönlich von jedem einzelnen Abschied nahm, da
konnte ich es doch nicht verhindern, daß heiße Tränen über meine Wangen
auf die Hand des Mannes niederrollten, der es so tteu mit uns gemeint