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1. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 2

1913 - Leipzig : Hahn
2 2♦ Gedanken eines aus der Schule Entlassenen. Gestern betrat ich wohl für lange Zeit zum letztenmal den Weg, der stch allmählich den Hügel hinaufschlängelt und zu dem von wildem Wein umrankten Schulhause führt. Wie oft war ich in ftöhlicher Zugendlust den schmalen, mit grünem Rasen überwucherten Pfad hinaus- geeilt, um, allen Kameraden voran, als der erste das Schulzimmer zu betreten! Wie so manches Mal war ich aber auch füll und gedrückt den Hügel hinabgeschlichen, wenn ich vom Lehrer Strafe erhalten hatte für schlechte Erfüllung meiner häuslichen Pflichten! Aber lange pflegte dieses Gefühl der Beschämung nicht von meinem Herzen Besitz zu ergreifen; denn der kecke Jugendübermut zerteilte nur zu bald die Schatten, die der Verweis des Lehrers in meiner schuldbeladenen Seele heraufbeschworen hatte. Auch an diesem Tage trat ich ftöhlichen Mutes aus dem Hause meiner Eltern heraus, um noch einmal den Weg zum Schulhause zu beschreiten. Aber merkwürdig! Je näher ich dem Schulhause kam, desto mehr sank mir der jugendliche Übermut und machte einer mir selbst unverständlichen Traurigkeit und Wehmut Platz. Dämmerte in diesem Augenblicke schon in meiner Seele die dunkle Ahnung auf, daß ich mich als Mann noch oft nach den Schuljahren als der besten Zeit meines Lebens zurücksehnen würde? Ahnte ich jetzt schon, daß das spätere Leben noch so manche bittere Erfahrung, so manches Weh und Leid mit sich bringen würde? Tief ernst gestimmt, ttat ich daher in das Schulzimmer und setzte mich füll und ruhig auf meinen Platz, ohne mich wie sonst an dem lärmenden Geschrei meiner Mitschüler zu beteiligen. Jetzt tat sich die Türe auf, und herein trat der Lehrer. Sofort verstummte der Lärm, und jeder suchte in eiliger Hast seinen Platz zu erreichen. Ich weiß nicht, wie es kam, aber heute erschien meinen Augen der Lehrer so ganz anders, so wunderbar verwandelt; denn verschwunden schien mir aus den ernsten Zügen die Sttenge, und die treuen Augen blickten so mild und versöhn- lich auf uns Knaben herab, als hätte es niemals Zeiten gegeben, wo wir vor dem strengen Zornesblicke dieser Augen gezittert hatten. Ich, der sonst immer so keck dem Lehrer ins Angesicht schauen konnte, ver- mochte dem warmen Sttahl, der uns aus seinen Augen entgegen- leuchtete, nicht standzuhalten. Ein unerklärliches Gefühl tiefer Beschämung und namenloser Reue stieg in meiner Seele empor und ließ mich in meinem Innern innige Abbitte tun für all den Verdruß, den ich dem Lehrer in dem Unverstände meines Herzens nur zu häufig zugefügt hatte. Ja, als der Lehrer nun mit herzlichen, warmen Worten, aus denen man deutlich das innigste Mttgefühl heraushören konnte, Abschied von uns nahm, da ttaten mir unwillkürlich Tränen in die Augen, und ich mußte meinen ganzen ttotzigen Knabenmut zusammennehmen, um nicht in lautes Weinen auszubrechen. Als der Lehrer jedoch zuletzt jedem von uns die Hand reichte und persönlich von jedem einzelnen Abschied nahm, da konnte ich es doch nicht verhindern, daß heiße Tränen über meine Wangen auf die Hand des Mannes niederrollten, der es so tteu mit uns gemeint
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