1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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über hundert Knaben und Mädchen aus allen Jahrgängen zu gleicher
Zeit in einem einzigen bescheidenen Schulraume unterrichten mußte
und gewiß nur ganz wenig Zeit hatte, sich mit jedem einzelnen
Kinde zu beschäftigen, so fiel ihm doch gar bald der aufgeweckte und
etwas wilde, kleine Krause auf; er schloß ihn in sein Herz und mühte
sich mit großer Sorgfalt um seine Geistesbildung. Da brach plötzlich
Unglück herein in das Haus des Vaters und warf für lange Zeit
einen düsteren Schatten in die sonnige Jugendzeit des sonst so froh-
gernuten Knaben. Eine heimtückische Krankheit ergriff nach und nach
Vater, Mutter und alle im Hause lebenden Kinder, und leider hielt
auch der unerbittliche Tod gar reiche Ernte im friedlichen Hause. Der
treusorgende Vater und vier liebliche Kinder erlagen der schrecklichen
Seuche, und als man Sarg um Sarg von dannen trug, da wollte
denen, die zurnckblieben, schier das Herz brechen unter der Last des
Leides und des Schmerzes. Karl genas zwar wieder und gelangte auch
schnell in den Vollbesitz seiner Kräfte, doch die schönste Zeit der Kind-
heit war für ihn vorbei. Mit dem vierzehnten Lebensjahre verließ er
Limehna und übernahm das Amt eines Laufburschen, das ihm auf di?
Empfehlung seines ihm wohlwollenden Lehrers vom Ratsherrn und
Konditoreibesitzer Wilhelm Felsche anvertraut wurde.
In Leipzig erschloß sich für den Bauernknaben eine neue Welt,
und das gewerbfleißige Leben der schönen Stadt mit ihrer intelligenten
Bevölkerung übte einen ganz gewaltigen Einfluß auf das bildsame
Wesen des Knaben aus. Karl trug in Torten, Kuchen und inhalt-
reichen Tüten Süßigkeiten aller Art in die Häuser, brachte aber
immer in seine stille Kammer eine Menge kleiner Erfahrungen und
Kenntnisse wieder mit zurück, die sein leicht erregbares Gemüt bis in
die Nacht hinein bewegten. Bald gelang es ihm auch, die ländliche
Sprechweise und die bäuerlichen Angewohnheiten, die ihm manchen Spott
von seinen Genossen eintrugen, abzulegen und sich die verfeinerten
Formen des städtischen Lebens anzugewöhnen. Auf die Dauer ver-
mochten freilich die Biskuits und der Zwieback, die Zucker- und
Schokoladenwaren, die er verpacken und austragen mußte, sein Interesse
nicht zu erschöpfen. Sein lebhafter Geist verlangte nach. kräftigerer
Berätigung, und dazu fand sich bei seiner jetzigen Arbeit doch zu
wenig Gelegenheit. Seit einiger Zeit hatte es ihm ein anderer
Beruf angetan, von dem er in Limehna nie etwas gesehen und
gehört hatte, dessen Ausübung ihm aber jetzt als das höchste Ideal
menschlicher Arbeit erschien. In Leipzig war es, wo damals die
erste große Eisenbahn Deutschlands eröffnet worden war. Da stand
nun Karl gar oft am neuerbauten Geleise und staunte den Zug an.
der mit Blitzesschnelle dahinbrauste und die Schätze des menschlichen
Gewerbsteißes oder Hunderte von Menschen hinausbeförderte aus der
Stadt und mit ungeahnter Schnelligkeit an ihr fernes Ziel brachte.
Voll Bewunderung sah er den Mann an, der mit einem einzigen
Drucke der Hand die geheimnisvolle Kraft des Dampfes regierte und