1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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geringer Mächtigkeit. Es herrscht hier eine feuchtwarme Luft wie im
Treibhause. Diese Grubenlust hat etwas ganz Eigentümliches an sich —
ein Gemisch von den Gerüchen faulenden Holzes, Kohlenoxydgases und
der karbolgetränkten Wettertücher, die allenthalben zur Regelung der Luft-
zufuhr in den Strecken hängen. Gar still ist es an solchem Orte. Er
liegt oft weitab von den großen Förderstrecken, wo aus den Schienen be-
ständig die Züge der eisernen Förderwagen vorüberrasseln, von Pferden,
Lokomotivkraft oder durch das elektrisch angetriebene Drahtseil fortbewegt.
In die Stille dringt nur der dumpfe Schall, den der gleichstimmige Schlag
der Hauer gegen den Kohlenstoß hervorruft. Dann und wann löst diesen
gleichförmigen Taktschlag das laute, dumpfe Krachen und Schollern ab, mit
dem die losgehauenen Kohlenstücke zu Boden stürzen. Von Zeit zu Zeit
wechseln die Hauer ihre Tätigkeit. Sie greifen zur eisernen Schaufel und
werfen sich gegenseitig die abgelöste Kohle zu, der letzte zum Schlepper
hin, der sie auf den bereitstehenden Förderwagen lädt.
Wir setzen unsern Weg fort. Unser Gespräch beschäftigt sich mit den
Gefahren des Bergbaus. Ich als Laie komme natürlich bald auf die
Schlagwetterentladungen zu sprechen; erfährt man doch erst später bei ge-
nauerer Bekanntschaft mit dem Bergbau, daß ungleich viel mehr Opfer als
die großen Grubenunglücksfälle die zahlreichen Einzelunfälle durch Stein-
und Kohlenfall oder Absturz im steilen Flöz fordern.
Wir wanderten ziemlich lange und kamen so in eine ganz andere
Abteilung des Grubenfeldes, und nun tauchte plötzlich im Schein unsrer
Lampen vor einer dunkel gähnenden Öffnung in der Gcsteinswand ein
Bretterverschlag auf. Daran hing ein großes schwarzes Kreuz mit der
warnenden Inschrift „Feuer."
Nachdenklich schaute ich auf das Kreuz, während der Obersteiger
seine Lampe abseits in die Holzverschalung einhakte. Erinnerungen stiege»
unwillkürlich in mir auf, an Rom — an die Katakomben, und ich sagte:
„Man könnte wirklich meinen, vor einer unterirdischen Begräbnisstätte zu
stehen."
„Hätte auch leicht zu einer solchen werden können", erwiderte mein
Führer, der mit dem Fahrstock schon dabei war, durch kräftigen Ruck ein
paar Bretter in dem Verschlage zu lockern. „Es war gerade morgens
nach Beginn der Schicht. Da, kaum, daß sie die ersten Schläge getan
haben, plötzlich ein verdächtiges Geräusch im Kohlenstoß — ein Rieseln
und ein leises Zischen — sie halten an, leuchten vorsichtig ab — und richtig,
ganz unten, wo der Stoß ansetzt, da quillt's hervor: ein paar dünne
Wasserstrahlen, die sich schnell zu einer kleinen Lache ansammeln. Und
aus dieser Lache steigt's auf wie lauter kleine Sprudel, Gasblasen, die
an der Luft zerplatzen — Schlagwetter!"
„Es war ein Glück, daß die Leute einen so besonnenen Orts-
ältesten bei sich hatten, der kommandierte sofort: Lampen klein machen, und
raus aus dem Berg! Aber ganz langsam! Und die Leute wichen schritt-
weise zurück, ohne jede Überstürzung; — eine einzige hastige Bewegung,
das Durchschlagen einer Lampe, oder es hätte bloß in der Nebenstrecke