1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Bassins zu locken, ist folgendes. Hat ein einzelner oder eine Unternehmer-
gesellschaft ein Stück Land an sich gebracht, in dem das Vorkommen von
Naphtha zu vermuten ist, so beginnt man, ein 10—12 Quadratmeter
großes Feld abzugrenzen, auf dem ein sogenannter Bohrturm errichtet
wird. Man zimmert aus starken Eichenstämmen ein etwa 50 Meter hohes
Gerüst mit mehreren Etagebauten und umkleidet es mit ^dünnen Holz-
bohlen. Ein ungefähr 15 Meter tiefer Schacht wird inmitten des von
den Holzwänden umrahmten Raumes abgeteuft, und nun kann das Bohren
beginnen. Es geschieht vermittelst eines schweren Meißels, der senkrecht
im Innern des Bohrturmes an schmiedeeisernen, aneinandergeschraubteu
Stangen hängt und bei jedem wuchtigen Fall ein wenig gedreht wird.
Je nach der Beschaffenheit des Gesteins vermag dieser Meißel in 24 Stunden
2—4 Meter des Erdreichs durchzustoßen. In die ausgebohrte Strecke
werden Röhrenstücke von 3/4 Meter im Durchmesser eingesetzt. So entsteht
allmählich eine lange Röhrensäule, die den Stangenbohrer stets in gerader
Richtung hält und dem ausströmenden Naphtha gleich einer Brunnenröhre
die nötige Fassung gibt.
Ist ein unterirdisches Naphthabassin angeschlagen, so schießt mit
mächtigem Druck eine hohe Fontäne aus der Erde. Oft ist die Kraft
der mit Schlamm und Steinen untermischten flüssigen Masse von solcher
Stärke, daß sie das gesamte Gestänge des Bohrturms und seine Kappe,
auf der die Hebemaschinen stehen, in wenigen Sekunden zertrümmert und
weit in die Luft schleudert. Wenn das Gleichgewicht zwischen dem Druck
der äußeren Atmosphäre und der Spannung der im Erdinnern treibenden
Gase hergestellt ist, so hat der aufsprudelnde Springquell sein Ende er-
reicht. Jetzt geht man an die Arbeit, aus dem Röhrenschacht vermittelst
sinnreich konstruierter Blechzylinder das in der Tiefe stehende Naphtha zu
schöpfen. Durch Holzröhren leitet man das Naphtha in große, ausge-
mauerte Behälter, die rings um den Bohrturm angebracht sind.
Das „Glück" zeigt sich bei dem Kampf um die Naphthagewinnung
als die fast einzig regierende Macht. Dem einen schlägt eine Fontäne tage-,
ja wochenlang — den Gebrüdern Nobel gab einmal ein Springquell in
einem einzigen Tage 70 000 Pud (1 Pud ist 32,76 Pfund) und fünf andere
reiche Fontänen in einem Jahr 80 Millionen Pud —, der andere hingegen
vermag monatelang nur Schlamm und Wasser aus seinem Bohrloch zu-
tage zu fördern. So gibt sich die Naphthabohrung als tolles Glücks-
spiel. Hier werden beträchtliche Kapitalien fruchtlos vergeudet, dort fließen
Millionen in wenig Tagen in die Taschen des vom Glück Begünstigten.
Da das Pud Noh-Naphtha 17x/2 Kopeken kostet und die Betriebsunkosten
sich auf kaum 4 Kopeken das Pud stellen, bietet die Naphthabohrung ein
höchst einträgliches Geschäft (1 Kop. ----- 2,16 Pf.).
Ein besonders krasser Fall, der beweist, daß nur Zufall und
Glück den Ausschlag geben, hatte sich während meiner Anwesenheit
unweit Baku zugetragen. Ein wohlhabender Tatare hatte auf seinem
Grundstück einen Bohrturm errichtet, hatte monatelang arbeiten lassen, doch
ohne Erfolg. Er verkaufte seine Felder, sein Vieh, sein Haus, um immer