1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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zur Herstellung von Feuerzeugen zu benutzen, aber die ersten Phosphor-
feuerzeuge waren höchst unvollkommen und gefährlich; man sollte
reinen Phosphor unter Wasser in Fläschchen aufbewahren, dann
stückchenweise hervorholen und schließlich durch Verreibung auf Leder
entzünden.
Als nun Aammerer von der ersten Mischung, die er zur Her-
stellung der Aöpfchen für seine Zündhölzchen erdacht hatte, nicht
befriedigt wurde, stellte er eine neue her, in welcher neben chlor-
saurem Aali noch Phosphor enthalten war. Die Zündhölzchen
versagten jetzt nicht mehr; denn der Phosphor entzündete sich selbst
bei gelinder Reibung und zersetzte das chlorsaure Aali, welches dabei
den nötigen Sauerstoff lieferte, um den Schwefel zu entzünden und
eine lebhafte Verbrennung möglich zu machen. Die Idee fand
Anklang, und in Wien entstanden die ersten größeren Fabriken,
welche Phosphorhölzchen lieferten.
Aber auch diesen Hölzchen hafteten schwere Mängel an. Die
Mischung von Phosphor und chlorsaurem Aali explodiert mit solcher
Gewalt, daß man mit ihr Bomben füllen könnte, und so kam es,
daß bei der Fabrikation viele schwere Unfälle sich ereigneten und das
Verfahren in vielen Ländern verboten wurde. Die neuen Zünd-
hölzchen waren wilde Gesellen, die erst gezähmt werden mußten, und
diese Zähmung gelang schließlich den Wiener Fabrikanten, indem
sie das chlorsaure Aali in der Aöpfchenmasse durch Stoffe ersetzten,
die langsamer Sauerstoff abgaben, durch Mennige, Bleisuperoxyd
oder guten Braunstein. Damit war die erste Stufe der Vollendung in
der Herstellung der Zündhölzchen erreicht; die Welt erhielt Phosphor-
hölzchen, wie sie noch heute gemacht werden, und sie verdankt dieselben
vor allem den deutschen und österreichischen Erfindern Aammerer,
Preshel und Römer.
Aber die Menschen sind nun einmal anspruchsvoll, und so hatten
sie auch an den ersten brauchbaren Zündhölzchen vieles auszusetzen.
Der Gestank, den der Schwefel beim Verbrennen erzeugt, störte sie,
und dem wurde Rechnung getragen, als man für feinere Ware den
Schwefel durch Paraffin ersetzte, in welches die Hölzchen getaucht
wurden, bevor man das Aöpfchen anbrachte. Viel wichtiger war
aber ein anderer Einwand: der weiße Phosphor ist ein heftiges Gift;
eine geringe Anzahl von Aöpfchen genügt, um einen Menschen
ums Leben zu bringen, und in der Tat griffen Gift- und Selbst-
mörder vielfach zu den leicht zugänglichen Hölzchen. Unter den
Phosphordämpfen, die sich während der Verarbeitung entwickelten,
hatten auch die Arbeiter schwer zu leiden, indem bei ihnen die
Anochen des Ober- und Unterkiefers abstarben, die „Phosphor-
nekrofe" der Anochen entstand. „Gifthöhlen" nannte ntan die
Zündholzfabriken, und am schlimmsten sah es dort aus, wo dev
kleine Mann die Herstellung der Hölzchen als eine Art Hausindustrie
betrieb.