1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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dieses Wenige bezog er zum Teil im Tauschhandel von fremden
Handelsleuten, die Hoffnung auf Gewinn in das noch unwirtliche
Land führte, von Römern, Kelten, Juden u. a. m. Das Geld spielte
bei diesem Güteraustausch noch keine Rolle. Ware wurde um Ware
eingetauscht. Der Fremde brachte Erz und Eisen, Silber und Gold,
also vor allem Rohstoffe, die man dem deutschen Boden noch nicht
abzugewinnen wußte oder die er überhaupt nicht gab, aber auch
Erzeugnisse ausländischen Gewerbfleißes: Schmuck und Kleidung und
mancherlei Tand, woran der kindliche Sinn des Barbaren seine Lust
hatte. Der römische Kaufmann erwarb von den Barbaren Bernstein,
Pelze und Tierhäute, aber auch Sklaven, die dieser auf seinen Heer-
fahrten erbeutet hatte.
Dem Mangel an germanischen Kaufleuten enffprach der Mangel
eines germanischen Gewerbestandes. Die Anfänge gewerblicher Arbeit
und gewerblichen Lebens freilich waren vorhanden; allein Leute, die
um des Erwerbs willen ein bestimmtes Handwerk als Lebensberuf
geübt hätten, fehlten in dieser Frühzeit unseres Volkstums fast gänzlich.
Was man an gewerblichen Dingen für die Bestellung der Ackerflur,
für Wohnung und Kleidung, für Ausrüstung zur Jagd und zum
Kriege brauchte, lieferte im allgemeinen der eigene Haushalt. Aus
den Stämmen des reichen heimatlichen Waldes zimmert der germanische
Bauer mit seinen Knechten unter freundnachbarlicher Beihilfe seiner
Sippe:; und nächsten Volksgenossen sein rohes Blockhaus, das er mit
Stroh deckt und dessen Gebälkspalten er mit Moos verstopft oder mit
Strohlehm ausklebt. Die Wände versteht er mit Kalk und anderen
erdigen Farbstoffen weiß zu tünchen und bunt zu färben. Er höhlt
einen starken Eichenstamm und fertigt so den „Einbaum", mit dem
er den Strom befährt. Die hauptsächlichsten Ackergeräte, Waffen und
Geschosse weiß er aus verschiedenen Stoffen mit eigner Hand her-
zustellen. Der Löwenanteil der Arbeit indes entfällt noch lange Zeit
auf die Frauen, die minderjährigen Söhne, Töchter, die Knechte und
Mägde. Die Hausfrau spinnt und webt, sie bereitet aus ihren wollenen
und leinenen Geweben, aus felbstzugerichteten Tierfellen die einfache Klei-
dung. Töchter und Mägde gehen ihr dabei an die Hand. Die Spindel
ist das Sinnbild des Weibes, wie das Schwert das Wahrzeichen des
Mannes ist. Auch für des Leibes Nahrung sorgen die Weiber: sie
brauen das Gerstenbier und den süßen Met, sie mahlen mit der Hand-
mühle das Getreide, bereiten die Hauptspeise, den Haferbrei, und backen
das Brot. Schwerere handwerksmäßige Arbeiten verrichten die männ-
lichen Hörigen oder Knechte. Aber auch sie sind keine Handwerker,
sondern Landarbeiter. Das Handwerk ist ihnen eben nichts als ein
von der Landwirtschaft untrennbarer Nebenberuf. Man braucht noch
keinen Zimmermann und keinen Dachdecker, keinen Maurer und keinen
Tüncher, keinen Stellmacher, keinen Weber und keinen Schneider,
keinen Kürschner, keinen Gerber und keinen Schuster, keinen Müller,
keinen Bäcker und keinen Brauer. Die gewerbliche Nebenarbeit der