1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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wandern die Riemen zu einer Presse, unter der die Sohlen ausgestanzt
werden. Armer Meister, was mußt du oich mit deinem Messer an dem
spröden, zähen Stoff quälen, ehe es dir gelingt, in fast halbstündiger
Arbeit eine Sohle auszuschneiden — hier kannst du sehen, was die
Maschine vermag! In der Presse, die natürlich durch Dampf getrieben
wird, wird das Sohlenleder unter ein aus bestem Stahl gearbeitetes
Fa^onmesser von der Form der zukünftigen Sohle gebracht, ein
Ruck — ein Druck, und die haarscharf und schön glatt beschnittene Sohle
fliegt fertig beiseite. Nie kommt ein Fehlschneiden, nie ein Versagen der
Maschine vor, und dabei kann ein geübter Arbeiter in zehn Arbeitsstunden
über fünftausend Sohlen ausstanzen! Freilich bedarf eine gut eingerichtete
Fabrik einer großen Anzahl Fa^onmesser, da diese für jede Größe, ja
auch nach den leidigen Beoingungen der Mode, die bald breite, bald spitze
Stiefelfa<;on liebt, ausgewechselt werden müssen. Man hat überhaupt
kaum einen Begriff, auf welche Mannigfaltigkeit die Produktion vorbereitet
sein muß, wenn sie allen Ansprüchen genügen soll. Große Fabriken
besitzen z. B. Tausende von verschiedenen Leisten, und jeder Modewechsel
bedingt die Vermehrung dieser riesigen Bestände, die oft zu einem wahren
Ballast anschwellen und doch nicht entbehrt werden können. Das größte
Erfurter Etablissement hat sogar eine Leiftenschneiderei nur für den eigenen
Bedarf eingerichtet.
Aber zurück zur Fabrikation selbst! Mittels der Schlitzmaschine wird
i« die Außenseite des ausgestanzten Lederstückes eine kleine Rinne geschnitten,
in welche später die Sohlennaht zu liegen kommt; dann erhält die Sohle
unter einer kräftigen Presse die nötige Biegung und Wölbung und gelangt
mdlich in die Hand des Aufzwickers, der sie und den Oberschuh auf dem
Leisten zu einem Ganzen vereinigt. Der Aufzwicker ist ein wichtiger Mann
in der Fabrik; er ist fast der einzig übrig gebliebene Vertreter des
Handwerkes in ihr; die maschinellen Vorrichtungen haben dem denkenden
Jünger St. Crispins zwar seine Arbeit wesentlich erleichtert, aber ihn
selbst nicht von seinem Posten abgelöst. An seinem vortrefflich eingerichteten
Universalschraubstock stehend, zieht er zunächst den vorbereiteten, um der
größeren Sauberkeit willen halb in Papier gehüllten Schaft über den
Leisten und heftet mit kleinen Eisenstiften jenen und die innere, die Brand-
sohle zusammen, wobei er nicht verfehlt, mit der G e l en kz w i ck z a n g e
das Oberleder recht fest über den Leisten zu ziehen, um dem Schuh,
besonders im Gelenk, eine schöne Form zu geben. Nach dem Einsetzen
des sogenannten Gelenkstückes selbst wird die äußere mit Klebstoff bestrichene
Sohle aufgelegt, scharf angehämmert und wiederum mit einigen Stiften
angeheftet. Jetzt ist der Stiefel endlich soweit vollendet, daß seine äußere
Form klar erkennbar hervortritt, und nun wandert er zum Maschinensaal,
i» dem ihm der letzte feste Halt gegeben werden soll.
Hier scheiden sich die Wege der Handarbeit und der maschinellen
Fabrikation noch schärfer als bei den bisher besprochenen Arbeiten. Um
mit der Hand ein Paar Sohlen auf die Stiefel zu nähen, braucht ein
fleißiger und geschickter Arbeiter mindestens fünfzehn Minuten, die Maschine,