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1. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 210

1913 - Leipzig : Hahn
210 leine mitgenommen, die auf der Landstraße von Baum zu Baum gebunderr wurde. Die ganze Gesellschaft, groß und klein, mußte sich hinter dieser Barriere aufstellen und geduldig verharren. Nur die beiden Lehrer, der Hauptlehrer mit der uns wohlbekannten, dicken Taschenuhr in der Hand, wagten es, die Landstraße zu betreten und hinauszublicken in die Ferne, wo der Zug herkommen sollte. Unsere Herzen pochten vor Neugier und Wundersucht. Die Unruhigen drängten dermaßen vorwärts, daß schier die ausgezeichnete Waschleine hätte zerreißen können, wenn nicht die Schul- meisterin mit dem Röhrchen ihres Gatten die Mutwilligsten von uns iu Respekt gehalten hätte. Da, richtig — es war wirklich „auf die Minute", wie unser Lehrer zu Ehren der königlichen Schnellpost und seiner guten Taschenuhr noch wochenlang nachher versicherte — da erhob sich eine Staubwolke auf der Landstraße I Die Lehrer stürzten eiligst hinter unsere Barriere und nahmen die Hüte ab, wir Kinder nebst Begleitung des- gleichen. Und sie kam näher und näher. Wir schwenkten die Mützen und schrien vor Begeisterung unser „Hoch und Hurra!" aus vollster Kehle. Sie flog vorüber! Ein Hauptwagen und ein Beiwagen und ein Staubwirbel hinterher! Da war denn kein Halten mehr! Wir drängten vor, um ihr nachzusehen, und — die gute, alte Waschleine war mitten durchgerissen I Die Schulmeisterin wollte eben mit dem Röhrchen auf uns losfahren, aber unser Lehrer wehrte freundlich ab. Bei solchen merkwürdigen Er- eignissen müsse man mit der Jugend Nachsicht haben. In der Tat machte der Anblick auf uns den Eindruck der rasendsten Geschwindigkeit. Die Begeistertsten von uns behaupteten, daß die Schnell- post mit acht, zehn, zwölf Pferden vorübergesaust sei. Unser Schulmeister belehrte uns, daß es wirklich nur vier Pferde am Hauptwagen und zwei am Beiwagen gewesen wären; aber die Schnelligkeit wäre so groß, daß alles doppelt erschienen wäre. Auch er selber hätte darauf schwören mögen, daß er mehr als vier Pferde gesehen habe. Als wir uns ordnungsvoll auf dem Heimwege wieder unserer guten Stadt näherten, kamen uns der Gendarm und der Stadtwachtmeister ent- gegen und verkündeten uns, daß sie lange, lange schon wieder fort sei. — „Das geht zu weit", sagte der letztere und schüttelte bedenklich den Kopf. „Vom Revidieren der Pässe", setzte sein Begleiter hinzu, „kann gar nicht mehr die Rede sein! Wohin das noch kommen wird, mag der liebe Gott wissen!" Unser braver Lehrer meinte zwar: „Solche Herren, welche die königliche Schnellpost aufnimmt, haben sicher jeder seinen guten Paß in der Tasche; darauf kaun man sich wohl verlassen", aber der Herr Stadtwachtmeister schüttelte so sehr den Kopf, daß wir wohl sahen, er traue selbst der Schnellpost nicht. Wer da meint, daß die durch das Land dahinsausende Schnellpost die Vorläuferin und Fürsprecherin der Eisenbahn gewesen sei, befindet sich in einem schweren historischen Irrtume. Sie war im Gegenteil die abgesagte Feindin dieser unerhörten Neuerung. Der Generalpostmeister Nagler wies mit Selbstbewußtsein auf sein Werk hin und fragte erstaunt,
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