1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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sicherte der Berichterstatter, daß es ihm trotz der schnellen Fahrt vollständig
gelungen wäre, die Gänse auf einer Wiese in der Nähe von Steglitz zu
zahlen. Und das würde wohl jedem Berliner mit ruhigem Blicke gleich-
falls möglich sein.
Diese Voraussetzung bewährte sich vollkommen. Die Bahn wurde
fertig. Die Berliner zählten die Gänse, wenn solche da waren, und ge-
wöhnten sich dermaßen an die Geschwindigkeit, daß man sehr bald die
ganze Fahrt bis Potsdam in anderthalb Stunden abmachen konnte.
Als am» Ende gar noch die Eisenbahn die Post auf den Rücken
nahm und mit ihr in die Welt hineinjagte, vertrauten sich selbst Posträte
ihr an und fanden, daß die Welt nicht ihrem Untergange deshalb zueile.
Von da ab wühlte der böse Zeitgeist gar schrecklich in der unruhigen
Menschheit. Man begnügte sich nicht mehr, mit all den Eisenbahnen nach
allen Seiten hin gewaltige Reisen, auf denen man sonst Wochen zu-
brachte, in einem Tage abzumachen; nein, man faßte den Entschluß, auch
ñachis die Reisenden zu befördern.
Mitten in der Nacht? Gar durch die ganze Nacht? Es war ein
erschreckender Gedanke l Wer wird denn des Nachts reisen? Wer anders
will denn des Nachts reisen als Diebe und Mörder? Wird es selbst
der wachsamsten Polizei möglich sein, hierüber eine Kontrolle auszuüben?
Die verwegene Idee erregte Schaudern in allen redlichen Gemütern, die
da wissen, daß die Nacht keines Menschen Freund ist. Man mochte sich
Nur mit dem Gedanken trösten, daß die Nachtzüge gewiß nur sehr, sehr
langsam fahren und nur ganz solide Reisende befördern werden, die den
Nachweis führen, daß sie durch besondere Umstände genötigt find, zu
Nachtreisen ihre Zuflucht zu nehmen.
In der Tat begannen die Nachtzüge zuerst mit langsamen Fahrten;
«her nach kurzer Zeit kehrte sich die Weltorduung vollständig um, die
Nachtzüge wurden die Jagdzüge, und viele Leute finden jetzt, daß das
Reisen am Tage eine Zeitverschwendung ist, da mau im Schlafcoupä, i«
das man in Berlin abends einsteigt, vortrefflich ruht und am Morgen in
Köln frisch und munter ist, um dort seine Geschäfte abzuwickeln.
Und merkwürdig! Die statistischen Aufnahmen beweisen, daß von
allen Unfällen, die Eisenbahnreisende betreffen, gerade die Nachtfahrer am
allermeisten verschont bleiben. Bernstein.
93. Der letzte Postillon.
Bald ist, soweit die Menschheit haust,
der Schienenweg gespannt;
es keucht und schnaubt und stampft und
saust
das Dampfroß rings durchs Land.
Und wied'rum in fünfhundert Jahr'
weiß der Gelahrtste nicht
zu sagen, was ein kfaudrer war,
was Fuhrmanns Recht und Pflicht.
Nur in der Nacht der Sonnenwende
wo dunkle Schemen gehn,
wird zwischen Grd' und Firmament
ein fremd Gespann gesehn.
Der Schimmel trabt, die peitsche
schwirrt,
laut schmettert posthornton.
Als Geist kommt durch die Luft kutschiert
ein greiser Postillon.