1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Auf unserer Fahrt durch den Kanal bietet sich unserem Auge
an landschaftlichen Reizen nicht viel. Auf dem fetten Marschboden,
der so vollständig eben vor uns da liegt wie ein großer See, reiht
sich Wiese an Wiese und Acker an Acker. Hie und da erblickt unser
Auge ein einzelnes Gehöfte, umgeben von einer Baumgruppe, von
der man nicht recht weiß, ob sie das Haus schützen oder am Hause
Schutz suchen will. Durch einfache Gehege am Hinweglaufen gehindert,
weiden zahlreiche Rinderherden auf den fetten Marschwiesen. Einen
Hirten erblicken wir nicht. Fast scheint es, als sei den Störchen und
Kiebitzen, die gern den Herden Gesellschaft leisten, die Aufsicht über-
tragen. Mit einer Geschwindigkeit von 10 km in der Stunde gleitet
unser Schiff aus der ruhigen, klaren Wasserfläche dahin. Nach halb-
stündiger Fahrt gelangen wir an die Drehbrücke der Eisenbahn von
Itzehoe nach Heide. Bald kommen wir durch eine Moorlandschaft,
die beim Kanalbau nicht geringe Schwierigkeiten bereitete. Nachdem
wir an der ersten Ausweichstelle vorüber sind, wird die Landschaft
freundlicher. Die Ufer werden höher. Wir fahren in tiefer Schlucht
dahin. Der Kanal durchschneidet hier den Geestrücken zwischen Elbe
und Eider. Bei Grünthal fahren wir wieder unter einer Eisenbahn-
brücke hindurch. In einer Höhe von 42 in über dem Wasserspiegel
fährt ein Eisenbahnzug über eine mächtige Brücke. Bald sind wir
durch die Geestlandschaft hindurch. Wieder liegt ein ödes Moor vor
unserm Auge. Gern lenken wir unsern Blick vom Landschaftlichen
ab und dafür hin auf eins unserer stattlichen Panzerschiffe, das an
einer Ausweichstelle gleich einer schwimmenden eisernen Burg an uns
vorüberfährt. Nachdem wir auf unserer weiteren Fahrt der Eider
nahe gekommen sind, erblicken wir vor uns die Stadt Rendsburg.
Nun verschönert sich auf der Weiterfahrt die Landschaft zusehends.
Herrliche Buchenwälder, liebliche Hügel, freundliche, schmucke Dörfer
zeigen uns, daß wir uns der Ostsee nähern. Scharfe Kurven beschreibend,
windet sich unser Wasserweg zwischen Hügeln hindurch. Endlich
gelangen wir, nachdem wir unter der Eisenbahnbrücke bei Levensau
hindurchgefahren sind, in die Einfahrtsschleuse bei Holtenau, und vor
uns liegt die schöne Kieler Bucht mit ihren herrlichen Uferlandschafteu.
Wir haben zu unserer Fahrt von Hamburg nach Kiel 13 Stunden
gebraucht. Obgleich wir Gelegenheit haben, unsere Rückfahrt nach
Hamburg nachts bei elektrischer Beleuchtung des Kanals zu bewerk-
stelligen, ziehen wir den Schnellzug vor, der uns in 2 Stunden von
Kiel nach Hamburg bringt.
Die Weg- und Zeitersparnis des Seemanns, der anstatt um das
Kap Skagen durch den Kanal fährt, ist bedeutend. Die größte Ab-
kürzung erfährt die Reise von den deutschen Nordseehäfen nach Kiel,
Lübeck, Wismar, Rostock; denn sie beträgt im Durchschnitt über
900 km. Im ersten Betriebsjahre — vom 1. Juli 1895 bis 30.
Juni 1896 — nahmen ihren Weg durch den Kanal 7531 Dampfer,
9303 Segelschiffe und 266 Kriegsschiffe, insgesamt also 17100 Fahr-