1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
252
doch nicht gezündet, da Regen, Schnee und Hagel die Lust erfüllen und
alle Dächer triefen."
Allein im nämlichen Augenblicke stürzte der Kaufmann Herr Steffen,
der schräg gegenüber wohnte, aus seinem Hause hervor, schlug die Hände
über dem Kopfe zusammen, schrie aus Leibeskräften und richtete dabei den
Blick immer nach dem Kirchturme empor, den er jenseits wahrnehmen
konnte. Ich ahnte Unheil, lief also stracks hinüber, mußte aber lange
auf ihn einreden, bevor ich's von ihm herauskriegte: „Mein Gott, unsere
arme Stadt! — Sehen Sie denn nicht? Der Turm brennt ja lichter-
loh!" — So war es denn auch wirklich. Die helle Flamme spritzte bei
der Wetterstange gleich einem feurigen Springbrunnen empor, aus den
Schallöchern sprühten die Funken umher wie Schneeflocken und flogen
bereits bis in die Domstraße hinüber.
Herzlich erschrocken rannte ich nach der Kirche und die Turmtreppe
hinan! Im Hinauffteigen überdachte ich mir, wie groß das Unglück
werden könne und müsse, da wohl schwerlich jemand fich's unternehmen
werde, bis in die höchste Spitze hinanzuklimmen, wo er in den finstern
Winkeln nicht einmal so bekannt sei als ich, der ich sie in meiner Jugend
so vielfältig und oft mit Lebensgefahr durchkrochen hatte. „Also nun
frisch drauf und dran!" rief eine Stimme in mir — „du weißt hier ja
Bescheid!"
In der Tat wußte ich auch, daß droben auf dem Glockenboden stets
Wasier und Löscheimer bereit standen; aber an einer Handspritze, die hier
hauptsächlich nottun würde, konnte es leicht fehlen. Dies erwägend,
machte ich auf der Stelle rechtsum, drängte mich mit Mühe neben den
vielen Menschen vorüber, die alle nach oben hinauf wollten, flog gleich
ins erste nächste Haus und rief um eine Spritze, die aber hier wie auch
im zweiten Hause nicht zu finden war und meiner steigenden Ungeduld
erst im dritten gereicht wurde.
Jetzt wieder — die Angst und der Eifer gaben mir Flügel — zum
Turme hinauf! In der sogenannten Kunstpfeiferstube, die dicht unter der
Spitze liegt, fand ich bereits mehrere Maurer und Zimmerleute mit ihren
Meistern an der Spitze, die indes alle nicht recht zu wiffen schienen, was
hier zu tun oder zu lassen sei. „Liebe Leute," sprach ich, indem ich unter
sie trat, „hier ist freilich nichts zu beginnen. Wir müssen höher hinauf,
nach oben. Folgt mir!" — „Leicht gesagt, aber schwer getan!" antwortete
mir der Zimmermeister Steffen. „Wir haben es schon versucht, aber es
geht nicht. Sobald wir die Falltür über uns heben, fällt ein dichter
Regen von Flammen und glühenden Kohlen hernieder und setzt auch hier
die Zimmerung in Brand."
Das war fteilich eine schlimme Nachricht. „Ei, es muß schon etwas
drum gewagt sein!" rief ich endlich; „ich will hinan! Helft mir durch
die Luke! Ich will sehen, was ich tun kann!" — Sie öffneten mir
die Falltür, ich stieg hindurch, ließ mir einen Eimer voll Wasser und
die Handspritze reichen, und — „nun die Luke hinter mir zu, damit das
Feuer keinen Zug bekommt!" befahl ich; und während sie das taten, sah