1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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arbeitete er seit seinem zwölften Jahre in Vorrat und mußte nach des
Vaters Willen bereits im Sommer damit anfangen. „Selbst Zeichen-
unterricht gab ich einst an vier Knaben und Mädchen", berichtet er selbst
aus seiner Jugend. „Die Stunde kostete a Person einen Groschen. Die
Vorlageblätter hatte ich selbst gezeichnet. Bisweilen wurde ich wohl vom
Spielplatz zur Ausübung meiner Pflicht und Würde geholt; ich präsen-
tierte mich dann in einem Kostüm, welches der Achtung der Schüler keinen
Eintrag tat — nämlich in einer grüngewürfelten Jacke und einer Leder-
hose; Mütze und Stiefeln waren im Sommer nicht nötig, ich ging barfuß.
Stiefel wurden nur Sonntags angezogen." Ein neues Kleid erhielt der
Knabe bis zu seiner Konfirmation nie, es wurde ihm entweder aus ab-
gelegten Sachen etwas zurechtgemacht, oder der Vater kaufte auf dem
Trödelmarkte ein notwendiges Kleidungsstück für ihn.
Weit entfernt, mit den ihn umgebenden ärmlichen Verhältnissen
unzuftieden zu sein, fühlte sich der Knabe durchaus glücklich und widmete
sich mit Eifer der Ausübung seiner Kunstfertigkeit. Die Erträgnisse der-
selben steigerten sich in den letzten Jahren vor seiner Konfirmation auf
10 bis 12 Taler jährlich. Diese lieferten einen willkommenen Beitrag zu
dem kärglichen Haushalt der Eltern. Welche Genugtuung war es für
ihn, mit seinem Fleiße den guten Eltern die Sorge erleichtern zu helfen!
Während andere Kinder sich am Spiel ergötzten, saß er in der einfachen
Wohnstube, über seine Arbeit gebückt, jede der schnell dahineilenden Minuten
benutzend. So lernte der junge Rietschel schon in der Kindheit den Wert
und die Bedeutung der kostbaren Zeit kennen und schätzen. Ihm bot
dabei das ftohe Gefühl, das treiben zu dürfen, wozu er vor allem Lust
hatte, tiefe Befriedigung.
So verging Rietschels Kindheit. Die Konfirmation kam heran und
mit ihr die Notwendigkeit, sich für einen Beruf zu entscheiden. Der Ge-
danke an die Kunst, der den Knaben am meisten beschäftigte, konnte wegen
der fehlenden Mittel nicht in Betracht kommen. Rietschel fand bei einem
Krämer seiner Vaterstadt als Lehrling Aufnahme. Das harte und strenge
Wesen dieses Mannes ertötete jedoch in kurzem die ohnedies geringe Lust
zum Kaufmannsstande in dem Jünglinge. Von schwerer Krankheit befallen,
mußte er nach wenigen Monaten ins Elternhaus zurückkehren. Unaufhalt-
sam brach nach seiner Genesung der langgehegte, immer wieder zurück-
gedrängte Wunsch hervor, sich auf der Dresdner Akademie zum Maler
auszubilden. Der Vater gab den heißen Bitten des Sohnes nach und
bemühte sich um Aufnahme für ihn an der genannten Anstalt. Rietschel
erhielt die Aufforderung, sich dem Akademiedirektor Seiffert vorzustellen.
Da die bei dieser Gelegenheit vorgelegten Zeichnungen dessen Beifall fanden,
wurde die Aufnahme des Jünglings in die Akademie zu Michaelis 1820
bewilligt.
Sein sehnsüchtiger Wunsch verwirklichte sich. Wohl wußte er, daß
der Zuschuß der Seinen ttotz aller Aufopferung nur sehr gering sein
konnte. Aber was galten ihm die seiner wartenden Mühsale und Ent-
behrungen, da er nun seinem Ziele zustteben durste! Mit wenig Geld in