1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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bedienen läßt, die anderswo ausrissen, einbrachen, stahlen, töteten oder
sonstwie mit irgendeiner Autorität in Widerspruch gerieten; sonderbarer
noch, daß uns immer wieder Kerle zulaufen, welche die härteste Strapaze
nicht schreckt, die ihr Leder zum Schinder tragen ... Wirklich eigentüm-
lich." Maillard polterte stiernackig beschränkt, blau wie zum Schlagfluß
geneigt: „Gesindel, nichts weiter! Gesindel, das hier säuft und frißt und
faulenzt, froh, daß wir ihm den Staatsanwalt vom Leibe halten." „Gesindel?
Vielleicht wohl nur zum Teil." Der Oberst liebte es, dem pöbelhaften
Gröhlen des Hauptmanns die feingeschliffene Form gegenüberzustellen:
„Dieser und jener fände gewiß ein besseres Unterkommen in der Union,
die auch nicht skrupelvoll ist und energische Deutsche, wenn sie rasch zu
Amerikanern werden, stets brauchen kann. Schauen Sie zum Beispiel
Herrn von Grimpitz an, lieber Freund — preußischer Junker, Leutnant! ..."
„Weggejagt!" „Gewiß, weggejagt; wegen einer Lappalie wahrscheinlich,
denn bekanntlich sind sie jenseits des Rheins in punkto Offiziersehre sehr-
streng, und was bei uns drei Tage Mittelarrest absetzt, zerbricht drüben
den Degen . . . Und dann der Bruggraber, der Wetterte — eine Un-
besonnenheit, ein dummer Streich, Jugendsünden, seichte Ritzer am Kerb-
holz trieben sie fort!" Maillard hatte eine unhöfliche Ironie: „Und der
Wachsmann leerte eine Kasse aus, die zufällig nicht ihm gehörte, und der
Berger," — der Hauptmann sagte weich „Berschö" — „der mit dem
Hammer statt auf den Nagelkopf auf den Kopf seines Werkmeisters los-
trommelte !"
In diesem Stadium des Gespräches Pflegte der Oberst der Diskussion
müde zu werden: „Meines Wissens sprach ich vom Grimpitz und den
anderen anständigen Elementen, die Handgeld nahmen." —
Jedenfalls kochte das Blut in der Legion.
Die zermürbenden Arbeiten verstimmten, der Gamaschendienst wiegelte
auf, und der Cafard, der heiße Tropenkoller Nordafrikas, machte die Leute
verrückt; manche desertierten, manche lachten krampfhaft, weinten bitterlich,
gerührt von einem abgerissenen Knopf, oder deklamierten feierlich Kinder-
gedichte; die Kränksten schlichen totenblaß und torkelnd mit verquollenen
Lidern und des Denkens überdrüssig dahin; hochgespannte, zweibeinige
Maschinen.
„Gibt es denn keinen Krieg? Wenn's nur Krieg gäbe!" zischelte
es; es zischelte auch wütend auf diesem Zickzackmarsch Süd-Nord-Süd, und
die Schultern wechselten das pendelnde Gewehr.
Wachsmann stichelte den knirschenden Grimpitz, dessen Bildung ihm
imponierte, dessen Fäuste er fürchtete, und vorsichtig reizte er den Kameraden,
der ihn duzte, den er aber respektvoll „Baron" nannte: „Se hätten in
Preußen bleiben sollen, Herr Leitenant; da führen se immer Krieg; gegen
de Dänemärker und gegen de Österreicher. Heute könnten Se Ober-
Htenant sein oder gar Rittmeister und hätten ä schöne Frau Gemahlin,
Pferde, Hunde, Kinder und ä prachtvolles Schloß."
„Kusch, Jud!" Am wenigsten vertrug Grimpitz das Herumtasten
m seiner Vergangenheit.