1910 -
Zweibrücken
: Kranzbühler
- Autor: Salzgeber, Franz
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Sonntagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
und unter der Erde, ein Handel und Wandel zu Wasser und zu Lande
entwickelt, daß ein Greis sein Heimatland am Niederrhein heute wohl nicht
leicht wieder erkennen würde, wenn er es seit seiner frühesten Jugend
nicht mehr gesehen.
Das wunderschöne Bergische Land, das mit seinen Bergen und Burgen,
Wässerchen und Wäldern an unsere herrliche Pfalz erinnert, gleicht heute
einer großen Industriestadt, die mit ihren reichen Waldungen nicht der
Lungen entbehrt, die für solche Gebiete ein Gottessegen sind. Sollen
dieses Ländchens Naturschönheiten nicht vielleicht mit Ursache gewesen
sein, daß Philipp Ludwig, der Sohn des Pfalzgrafen Wolfgang von
Zweibrücken, im Klevischen Erbfolgestreit so heiß darum stritt? Heute,
wo diese Grafschaft Berg zu einem riesigen Jndustrieparke geworden ist,
würde sie noch heißer umkämpft. Die Hauptwasserader dieses Ländchens,
das noch vor einem halben Jahrhundert ein entlegener Erdenwinkel ohne
Fabriken und Handel und Heerstraßen war, ist die Wupper, ein kleines,
aber bedeutsames Nebenflüßchen des Rheines. Seiner Munterkeit und
Geschäftigkeit verdankt es wohl seinen Namen. Selbst nur ungefähr so
stark wie unsere Blies, treibt es, unterstützt von etwa vierzig Seitenbächen,
zahllose Hammerwerke, Mühlen, Schleis- und Feilenkotten. Das rauscht
und pocht und klappert und hämmert und klingt und tippt in tiefster
Talschlucht und wohligem Bergwald, wo man bei uns nur ruhesame
Stille finden würde. Wir sind eben im Lande der Industrie, der Ge-
werbearbeit, in der Nähe von Remscheid und Solingen, Barmen und
Elberfeld.
Die beiden letztgenannten Städte verdanken ihre Größe der glück-
lichen Lage an jener bekannten Strecke des Mittellaufes der Wupper,
wo sich ihr Tal bedeutend erweitert. Als die Wupper noch das freie Kind
des Ebbegebirges war, noch klar und jugendfrisch, nicht geknechtet von
der Industrie, die alle und jegliche Kraft ausnützt, da begann man in
jenen Dörfern, die jetzt zu Barmen und Elberfeld geworden sind, mit
dem Bleichen des Leinengarns. Bald trat das Spinnen und Weben
hinzu. Der Weberei folgte die Färberei der hergestellten Schnüre, Litzen,
Borten und Bänder. Allmählich dehnte sich die Verarbeitung auch auf
die eingeführte Baumwolle und Seide aus. Also Spinnen, Weben und
Färben von Leinen, Baumwolle und Seide sind die Jndustriegrundlagen
der Wupperdoppelstadt. Dicht, wie die Schäfte eines Tannenwaldes, ragen
heute die Schlotmasten über das Häusermeer empor. Bunt und zahllos
wie auf einem Jahrmarkt wogen die Menschen in den Straßen, —
doch nicht zum Vergnügen, denn dazu ist hier keine Zeit, — Arbeit ist
die alle und alles treibende Kraft. Jeder freie Raum, sogar die Luft,
ist mit Schienenleisten durchzogen. Ununterbrochen gleiten die dichtbesetz-
ten Wagen der Schwebebahn etwa zehn Meter über dem Wasserspiegel
der Wupper dahin auf einer zwei Stunden langen Strecke. Das Geschäft
nützt hier jeden Raum aus. Geradezu gefährlich wird der Verkehr in