1. Bd. 1
- S. 244
1824 -
Leipzig Frankfurt a. M.
: Hinrichs
- Autor: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 5 – Tertiärbereich
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Erster Zeitraum.
wozu nur die Betrachtung schöner menschlicher Formen den
Maasftab darbieten konnte. — Auf eine ähnliche Art
suchte der forschende Verstand die Gründe physischer Er-
scheinungen auf, und aus einer Menge einzelner Versuche
in dieser Gattung, welche ein neues Chaos widersprechen-
der Ansichten und Lehren bildeten, sind nach und nach
unter den Handen der Dichter, die diese mannigfaltigen
Stoffe bearbeiteten und gruppirten, Kosmogonieen und
Theogonieen entstanden. Daß es Gedichte dieser Art bereits
vor Hesiod und Homer gegeben habe, ist nicht nur aus
geschichtlichen Spuren erweislich, sondern auch aus der
Entstehung und Bildung der Werke dieser Dichter selbst so
gut als gewiß. — Die Mythologie der Griechen ist also,
wie die der andern Völker, kein buntes Gemisch von unge-
reimten Fabeln und Mahrchen; allein eben so wenig die
hohe Einheit eines, von einem einzigen genialischen Dichter
erzeugten, Kunstwerkes, sondern die älteste Geschichte
und Philosophie dieses Volkes, bis auf die ersten
Dichter in mannigfaltigen Mythen sortgepstanzt, und aus-
gedrückt in der sinnlichen, nur allmahlig sich weiter
ausbildenden, Sprache des ersten Zeitalters der geistigen
Kultur. Daß diese Mythologie so reichhaltig und ihrem
Stoffe nach so verschiedenartig ist, hat theils seinen Grund
in der Menge und Verschiedenheit der Stamme, die hier
binnen einigen Jahrhunderten ihr mythisches und heroisches
Zeitalter -verlebten; theils darin, daß schon frühzeitig die
Buchstabenschrift von einwandernden Stammen hieher mit-
gebracht ward. Dies verhütete, daß nicht allzuviele My-
then aus diesem Zeitalter ganz verloren gingen, oder so
grell entstellt wurden, wie dies der Fall mit den orientali-
schen und ägyptischen Mythen war. — Doch haben wir
die meisten Mythen der Griechen, wie uns schon ihre Ein-
kleidung zeigt, nicht mehr in ihrer ursprünglichen Gestalt;
denn der menschliche Geist alleg orisirt die frühern reli-
giösen Begriffe, sobald er eine höhere Stufe der Bildung
betritt. Den griechischen Dichtern gehört das Verdienst,
daß sie die frühern rohen und sinnlichen Begriffe, die'sie
vorfanden, veredelten und weiter fortführten. Sie perso-