1. Bd. 1
- S. 335
1824 -
Leipzig Frankfurt a. M.
: Hinrichs
- Autor: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 5 – Tertiärbereich
Griechenland. 335
no.
Fortsetzung.
Die griechische Mythologie hatte in diesem Zeit-
räume, unter den Handen der Dichter und Künstler, zu
Einem Ganzen sich gestaltet, dessen einzelne Theile aber
nur den Charakter und Werth der Legenden trugen; als
Volks religión hatte sie sich überlebt, und die griechische
Philosophie ging bereits von ganz andern Ideen aus, als
welche ihr diese Mythologie darbot. —
Die große Aufgabe, wie Menschen zu regieren
waren, ward in Griechenland in mehrern Regierungsver-
fassungen und unter mannigfaltigen Formen und Schatti-
rungen practisch in den einzelnen Staaten gelöset. Als aber
Platon das Ideal seiner Republik schuf, war die Freiheit
der griechischen Staaten, von innen unter dem leidenschaft-
lichen Kampfe der aristokratischen und demokratischen Par-
theien, und von außen durch die vernichtende Eifersucht auf
die von einzelnen Freistaaten angemaßte Oberherrschaft ver-
loren gegangen. Patriotismus herrschte genug in Grie-
chenland ; Kosmopolitismus aber athmete höchstens in
den Aussprüchen seiner Weisen. —
Die Sprache der Griechen ward in dieser Zeit durch
Dichter, Redner, Geschichtsschreiber und Philo-
sophen zur höchsten Stufe ihrer Bildung, ihrer Reinheit,
ihres Reichthums, ihrer Bestimmtheit und Fülle, und ihres
Umfanges fortgeführt. Was die Dichter an neugebildeten
Wörtern in die Mitte der Sprache niederlegten, das präg-
ten die Philosophen zu einer bleibenden wissenschaftlichen
Form aus, und das ging durch die Redner, als gewonnener
fester Charakter der Sprachbildung, in dem Strome der Be-
redsamkeit auf das durch den Sprecher begeisterte Volk selbst
über. — Der Ursprung des Drama war religiös,
und wahrscheinlich bei seinem Entstehen der feiernde Chor-
gesang einer Gottheit oder eines Heros, begleitet von Musik,
Gesang und Tanz. Thespis scheint die wilde Begeiste-
rung bei dem frühern Drama zuerst gezügelt zu haben.