1821 -
Stuttgart
: Steinkopf
- Autor: Ewald, Johann Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
Dankbarkeit gegen Gott:
schwebte. Kaum hatten mich meine Gefährten aus dem
Gesichte verloren, als sie mir angstvoll von der Ferne zurie-
fen, und auf mein Jägerzeichen, daß ich noch lebe, mir
versprachen, Alles zu meiner — obgleich unwahrschein-
lichen Rettung zu wagen. — Hülföbcgierig liefen nun
die Lieben fast so schnell als die Gemsen, eine Meile
.weit, zu der nächsten Senn-Hütte zurück, während ich
zwischen Furcht und Hoffnung, auf meine ausgebreite-
ten Arme und Schenkel an die Felswände gestützt, über
dem Waffer schwebte. Ich sank aber alle Augenblicke
tiefer; schon war ich bis an die Kniee in den Eisstrom
gesunken, war von dem Drucke der Luft beynahe er-
stickt, und vor Kälte fast erstarret, und erwartete nichts
anders als den Tod. Nach Verfiuß einiger Stunden
hörte ich meine Gefährten mir zurufen. Auf meine Ant-
wort ließen sie mir einen Strick herunter, den sie, in
Ermangelung eines Seiles, in einer benachbarten Hütte
aus einer in Riemen geschnittenen Bett-Decke zusammen-
geknüpft halten. Mit vieler Mühe band ich mir densel-
den endlich um den Leib. Nun zogen sie mich mit ver-r
einten Kräften so weit aus dem Spalte herauf, daß sie
mich beynahe mit den Händen erreichen konnten; aber
plötzlich zerriß der Strick, und ich, mit dem einen Theile
des Strickes um den Leib, glitschte unaufhaltbar eben
so rief als vorher, in die Firne hinunter. Jetzt war die
Noth aber noch größer, nicht nur weil der Strick um
so viel kürzer geworden war, sondern weil ich auch noch
bey diesem zweyten Falle meinen Arm entzwey gebrochen,
und also um so viel kraftloser geworden war, selbst das
Nöthige zu meiner Rettung beyzutragen. Allein noch
entfiel weder meinen Gefährten noch mir der Muth; un«
ermüdet schnitten sie die Riemen noch einmal entzwey,
und verlängerten so den Rettungs-Strick. Dann warfen
sie mir denselben zum zweytenmal hinunter; und ich,
von Gott gestärkt, war auch mit gebrochenem Arme lenk-
sam und behende genug, den Strick um den Leib zu
knüpfen, und noch einmal meine Rettung zu versuchen.