1821 -
Stuttgart
: Steinkopf
- Autor: Ewald, Johann Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
r§4 Gute Anwendung des Reichthums.
Fürsten gewöhnlich gegeben und angenommen zu werden
pflegen. Tamerlan hatte überhaupt den Befehl ergehen
lassen, daß von jeder Art der.ihm darzubringenden Ge-
schenke allezeit 9 Stücke seyn sollten. Ibrahim ließ da-
her 9 schöne Pferde, mit Gold und Perlen reich ge-
schmückt, eben so viel Leoparden mit goldenen Halsbän-
dern, 9 seidene Zelre, eb n so viel indische Teppiche und
mehrere ähnliche Geschenke fertig machen. Zu diesem fügte
er noch 8 Sklaven hinzu, und verfügte sich, in Beglei-
tung dieser und einiger andern Diener, gerade zu Ta-
Merlans Haupt.quartier. Der siegreiche Eroberer warf
einen stolzen Blick auf die Geschenke, und fragte sogleich,
den Erblickung der L Sklaven, wo der neunte sey? „Hier
zu deinen Füßen!" — antwortete Ibrabim, indem er sich
vor Tamerlan niederwarf. — ,,Du sollst," — fuhr er
fort — „keinen gehorsamern Sklaven haben als mich;
und ich werde mich glücklich, selbst in Kelten, schätzen,
wenn mein Volk frey bleibt! Ja, mächtigster Fürst!
schenke meinem Volke die Freyheit, und laß mich deinen
Sklaven seyn! Nie sollst du einen dir ergebenem Diener
besitzen, wenn du meine Bitte erhören willst." Die Tu-
gend behauptet überall und unter jedem Volke ihre hohen
Rechte; sie hat ihre eigene siegende Kraft, welcher nur
ein völliger Barbar zu widerstehen vermag. Tamerlan
wurde durch Ibrahims Benehmen so erschüttert und zu-
gleich so gerührt, daß erden Knieenden mit Huld aufhob.
„Du sollst" — sprach er zu Ibrahim, — „hinfort mein
Freund, nicht aber mein Sklave seyn; eine solche Tugend
verdient ein besseres Loos als Hklaven-Ketten. Bestimmte
mich mein Schicksal nicht zu weit ausseheudercn Unter-
nehmungen tz ich würde mich in einem kleinen Reiche, ^wie
das deinige, nach dir bilden, und dir ähnlich zu werden
trachten. Du bist indeß frey; kehre zu deinem Volke zu-
rück, und mache es ferner so glücklich, als du es bisher
thatest!" Mit stlller Bewunderung entließ Tamerlan den
neuen Freund; mit lautem Jubel empfieng seinen, ihm
wiedergegedemn Fürsten, das beglückte Volk!