1882 -
Kiel
: Homann
- Autor: Ahrens, I. F.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch, Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Ii. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt.
Ordnungen waren im ganzen Reiche Muster geworden, nach denen Fürsten
und Städte ihr neues Leben einrichteten.
Der Hauptmarkt war am Sonntage Lieblingsaufenthalt der Männer.
Dort standen nach der Predigt Bürger und Gesellen in ihrem Feststaate,
plaudernd, Neuigkeiten austauschend, Geschäfte beredend. In allen Handels-
städten hatten die Kaufleute besondere Räume zu ihrem „Konvent", den
man schon damals die Börse nannte. Auf dem Ratsturme durfte über
der Uhr auch der Gang nicht fehlen, von dem der Türmer seine Rund-
schau über die Stadt hielt, wo die Stadtpfeifer mit Posaunen und
Zinken bliesen.
Die Stadtgemeinde unterhielt für die Bürger Bier- und Weinkeller,
worin die Preise des ausgeschenkten Trankes sorglich bestimmt wurden, für
die Vornehmen besondere Trinkstuben zu anmutiger Unterhaltung. In den
alten Reicksstädten hatten die Partrizier wie die Zünfte häufig ihre be-
sonderen Klubhäuser oder Stuben, und der Luxus solcher Geselligkeiten
war damals verhältnismäßig größer als jetzt. Auch die Gasthäuser waren
zahlreich, sie werden in Leipzig als schön und herrlich eingerichtet gerühmt.
Selbst die Apotheken standen unter Aufsicht, hatten besondere Ordnungen
und Preise, verkauften noch viele Spezereien, Delikatessen und was sonst
dem Gaumen behagte. Mehr Bedürfnis als jetzt waren die Badestuben.
Auch auf dem Lande fehlte selten dem Bauernhof ein kleines Badehaus,
eine Badestube war in jedem größeren Hause der Stadt. Die ärmeren
Bürger gingen zu den Badern, welche auch einigen Chirurgendienst ver-
richteten. Außerdem aber unterhielten die Städte auch große öffentliche
Bäder, in denen umsonst, oder gegen geringe Bezahlung mit allen Bequemlich-
keiten gebadet wurde. Dieser uralte deutsche Brauch ging durch den
Krieg fast verloren; noch jetzt ist er nicht in dem alten Umfange wieder-
gefunden.
In den ansehnlichen Städten waren die Häuser der inneren Stadt
um das Jahr 1618 in großer Mehrzahl aus Stein, bis drei und mehr
Stock hoch, mit Ziegeln gedeckt. Die Räume des Hauses werden oft als
sauber, zierlich und ansehnlich gerühmt, die Wände oft mit gewirkten und
gestickten Teppichen, sogar von Sammet, und mit schönem, kostbarem Täfel-
werk, auch anderem Zierat geschmückt, nicht nur in den alten großen
Handelsstädten, auch in solchen, die in jüngerer Kraft aufblühten. Zierlich
und sorgfältig gesammelt war auch der Hausrat. Noch war das Porzellan
nicht erfunden, reichliches Silbergeschirr fand sich nur an großen Fürsten-
höfen und in wenigen der reichsten Kaufmannsfamilien. An dem einzelnen
Stück von edlem Metall erfreute noch mehr die kunstvolle Arbeit des
Goldschmieds als die Masse. Die Stelle des Silbers und des Porzellans
aber vertrat bei dem wohlhabenden Bürger das Zinn. In großer Menge,
hellglänzend aufgestellt, war es der Stolz der Hausfrauen, daneben feine
Gläser und Thongefäße aus der Fremde, oft bemalt, mit frommer oder
schalkhafter Umschrift versehen. Dagegen waren Kleider und L-chmuck
auch der Männer weit bunter und kostbarer als jetzt. Noch war darin
der Sinn des Mittelalters lebendig, eine Richtung des Gemüts, der unsern