1913 -
Chemnitz-Gablenz
: Thüringer Verl.-Anst.
- Autor: Henck, Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
Wir beginnen also mit dem leichteren Lesen und zwar mit Steinschrift. Wir
wollen hier ausdrücklich hervorheben, daß wir nicht zu den heißblütigen An-
hängern der Lateinschrift gehören, die an Stelle unserer Fraktur die Stein-
schrift setzen wollen, wir gehen nur von der leichteren Steinschrift aus. weil
sie uns überall umgibt und dadurch dem Kinde die Zweckmäßigkeit des Lesen-
lernens in geradezu aufdringlicher Weise demonstriert und es zu weiteren
Leseversuchen aus sich heraus immer wieder von neuem angeregt wird; ein
Kind, das durch die Straßen wandert, dessen Blicke auf Schilder, An- und
Aufschriften unwillkürlich fallen, wird zunächst bei einzelnen Buchstaben ver-
weilen. später Lautverbindungen auslösen und endlich selbsttätig das Un-
bekannte festzustellen versuchen. Schon in den ersten Wochen des Unterrichtes
haben unsere Kleinen, um nur ein Beispiel als Beleg herauszugreifen, uns
berichtet, daß sie da und dort Ma und I gelesen, daß aber dazwischen 2 Buch-
staben seien, die sie noch nicht gelernt hätten, sie sähen so aus; und nun malten
sie mit dem Finger in die Luft die geschaute unbekannte Form der beiden 6
(Maggi). Noch einige interessante Beispiele.
Bei der Besprechung des Sch meinte ein Kleiner: „Den zweiten kenne
ich, der heißt der steht auch auf unserer Wasserleitung bei Cassel, das
kann ich schon lesen."
Für die Kreide war eine kleine Cigarrenkiste genommen. Als eine Kleine
eines Tages den Deckel sah. studierte sie die Aufschrift und brachte, ganz
glücklich. Matador heraus.
„Ich war gestern bei Tietz". berichtete eine andere, „da gab mir meine
Mutter einen Zettel, den trug ich in ein Glashäuschen, darauf stand Kas Se.“
„Ich kann schon Sa La Ri Ne lesen", meinte eines Morgens glück-
strahlend ein Bube, das steht auf einem Schild an unserm Haus."
„Rillige Schürzen" habe ich gelesen", erzählte eine Kleine lind
führte die Lehrerin nach der Stlinde an das betreffende Schallfenster.
„Alls unserer Llhr steht Wilhelm Hause“, ergänzte eine Kleine.
Fast jeden Tag brachten die Kleinen Anzeigen mit. die sie gelesen hatten
und nun vorlesen wollten oder berichteten über An- und Aufschriften an
Häusern. Kisten. Anschlagsäulen u. dergl. So wird die „vorausgerichtete Kraft"
des Unterrichtes geweckt und das Interesse für die Erscheinungen des Lebens
beflügelt. Auf Spaziergängen gibt diese Art des Unterrichtes eine Menge
von Anregungen und schützt vor langweiligem, planlosem Umherlaufen, sie
zwingt direkt zum Freilicht- lind Freiluftunterricht. gewiß auch wichtig im
gesundheitlichen Interesse unserer Schüler.
Weiter ist diese Steinschrift die am leichtesten aufzufassende und dar-
zustellende Buchstabenform; sie läßt die Frage der Großschreibung der Ding-
wörter unberührt und gestattet in ganz besonderem Maße die Inanspruch-
nahme der Selbsttätigkeit der^Kinder. So findet die geforderte Trennung