1913 -
Chemnitz-Gablenz
: Thüringer Verl.-Anst.
- Autor: Henck, Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
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2. Durch die Sprache.
A. Freie Aussprache der Kinder.
Beispiele: „Ich habe mich gewaschen. Ich habe meine Haube gewaschen.
Ich habe meinen Hals gewaschen. Ich habe mein Gesicht gewaschen. Ich
habe meine Füße gewaschen. Ich habe mich angezogen." —
„Meine Mutter hat eine Tasse auf den Tisch gestellt und Kaffee ein-
geschüttel und Milch; ba würde der Kaffee weiß. Die Mutter hat baun
n' Stück Brot geschnitten und Schmalz braus geschmiert, und dann habe
ich gegessen und getrunken."
„Ich trinke Kaffee und Kreppeln. Dann wasche ich mich, und dann
ziehe ich mich an, und dann wichse ich mir die Schuhe, und dann ziehe ich
sie an, und dann mache ich meinen Ranzen zurecht, und dann gehe ich in
die Schule."
„Ich hole mir ein Köppchen, und dann gehe ich an die Kaffeekanne und
schütte von dem Kaffee barin, und dann nehme ich den Milchtopf und
schütte Milch hinein, und dann nehme ich mir ein Brötchen und schneibe
etz auf und schmiere mir Gelee barauf, und dann esse ich es, und wenn es
dann gegessen ist, spüle ich die Tasse und stelle alles wieber weg." (Hier
erfahre ich, daß der Knabe morgens ohne Beaufsichtigung trinkt, ba seine
Mutter schon früh zur Aufwartung fort muß. Armes Kind!)
In einer sonst sehr freunblichen Kritik besbuches „Schaffen und Wirken"
von Henck-Traubt heißt es: „Die mehrfachen Seitenhiebe auf den freien Kinder-
aufsatz sinb um so unverftänblicher, als sie selbst diese Form der Stil- und
Sprachbilbung eifrig kultivieren." Ganz recht! Wir bezweifeln nur, daß Stil-
und Sprachgewanbheit mancher freien Aufsäße das unbeeinflußte, freie Probukt
von Kinbern ist; und beshalb sinb sie wohl geeignet, Verwirrung in päbagogi-
schen Kreisen durch Über- und Überschätzung der kinblichen Kräfte hervorzurufen.
Es geht oft mit den Veröffentlichungen der freien Aufsäße wie mit Zeich-
nungen und Gegenftänben des Arbeitsunterrichtes: nur das Beste wirb ge-
zeigt, nur das, was vielleicht 1—2 % der Schüler aus eigener Kraft be-
wältigt hat. ünb wenn dann der vom Glanze der Leistungen überwältigte
Beschauer baheim neue Bahnen gern versuchen möchte, brücken die im Ver-
gleich des Geschauten so unzulänglichen Leistungen seiner Kleinen ihn in seiner
Arbeitsfreube mißmutig nieber.
Wir betonen beshalb gerabe mit Vorliebe: Seht, so einfach, so schlicht
ist kinbliche Sprache, kinblicher Ausbruck, kinbliche Zeichnung, kinbliche Arbeit!
Alles anbere ist das Probukt übernormaler ober — Schwinbel.