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1. Kaiser Friedrich III. - S. 18

1888 - Wittenberg : Herrosé
18 auffallend ehrfurchtsvoll gegrüßt wurde und deshalb einsamere Wege aufsuchte. Da fühlte er sich plötzlich am Rockschöße erfaßt. Er blickte um sich und sah ein blasses Mädchengesicht, das flehend zu ihm emporschaute. „Wer schickt dich betteln, mein Kind?" fragte der Fremde. „Meine kranke Mutter!" antwortete die Kleine. „Wo ist dein Vater?" „Der ist tot — ach, uns hungert so sehr!" setzte sie schluch- zend hinzu. Der Herr, der schon seine Börse gezogen hatte, steckte sie wieder ein. „Führe mich zu deiner Mutter- Kleine," sagte er und folgte dem Mädchen, das ihn durch mehrere Straßen und Gäßchen bis zu einem kleinen, baufälligen Hause führte. Sie schritten zwei schmale, alte, knarrende Treppen hinauf. Dann öffnete die Kleine eine Bodenthür, und der Herr hatte nun einen Einblick in eine halbfinstere, unheimliche Dachkammer. Der Verschlag war feucht und kalt, und in der Ecke lag auf ärmlichem Lager eine junge Frau, der das Unglück in den Augen zu lesen war. Sie richtete sich stöhnend auf, als der Fremde eintrat. „O, Herr Doktor," sagte sie, „es ist nicht recht, daß meine Tochter Sie heimlich gerufen hat. Ich habe keinen Heller und kann nichts bezahlen." Der fremde Herr winkte einen Diener herbei, der ihm ge- folgt war, und sagte ihm einige Worte, worauf sich dieser so- gleich entfernte. „Haben Sie niemanden, der für Sie sorgt?" fragte er dann. „Ich habe keinen Verwandten, der sich um mich bekümmern könnte, und meine Wirtsleute sind selber arm. Mein Mann war Arbeiter. Solange er lebte, ging es uns gut; seit er tot ist, habe ich Tag und Nacht gearbeitet, um uns zu ernähren. Dann wurde ich krank, und so kamen wir in Not und Elend." Der Herr gab dem Mädchen Geld und sagte: „Geh und hole Brot und Wein." Schnell eilte das Mädchen davon und kehrte bald mit freude- strahlendem Gesicht zurück, ein Brot im Arm und eine Flasche Wein in der Hand. „Das lohne Ihnen Gott!" sagte die Frau mit Thränen in den Augen.
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