1888 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Wolter, August
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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Nur um seinem Arzte näher sein zu können, zugleich auch
weil dieser das Klima Englands für besonders zuträglich für die
eigenartige Krankheit des Kronprinzen bezeichnete, siedelte derselbe
mit seiner gesamten Familie am 13. Juni nach London über,
um hier und in den schottischen Hochlanden oder an den Küsten
von Wales den Sommer zu verbringen.
In den von dort nach Deutschland gelangenden Nachrichten
über den weiteren Verlauf des Leidens wechselten hoffnungsvolle
Versicherungen einer stetigen Besserung mit dunklen Gerüchten
unaufhaltsamer Verschlimmerung. Das allein stand fest, daß
bereits am 27. Juni Dr. Mackenzie zum drittenmale eine
Operation vorgenommen hatte, um, wie es hieß, den Rest der
Wucherung zu entfernen.
So gingen Wochen und Monate dahin. Leise kam der
Herbst gezogen; da hieß es, der Kronprinz werde von England
aufbrechen, um sich nach dem Süden, nach der Schweiz oder nach
Italien zu begeben. Eine Rückkehr nach Deutschland, die namentlich
der hochbetagte kaiserliche Vater so sehnlichst wünschte, um den ge-
liebten Sohn in der Nähe zu haben, oder ihn doch noch einmal begrüßen
zu können, erklärte Dr. Mackenzie für unthunlich. Am 1. September
erfolgte die Abreise des hohen Kranken von England und seine
Übersiedlung nach Toblach in Tirol. Erst am 7. September
dort eingetroffen, brach man jedoch bereits am 25. desselben Monats
wieder auf, um einen vor der Ungunst der Witterung mehr ge-
schützten Ort aufzusuchen, als welcher zunächst Baveno am Lago
Maggiore, dann aber Ende Oktober San Remo am Meerbusen
von Genua gewählt wurde.
Hier in San Remo, in der für die kronprinzliche Familie
gemieteten Villa Zirio, schlug der edle, gottvertrauende Dulder
nun ein Schmerzenslager auf, wie es trauriger, trostloser nicht
gedacht werden kann. Etwa 14 Tage nach seiner Ankunft in
San Remo wurde in einer gemeinschaftlichen Beratung der Ärzte
bereits die völlig hoffnungslose Natur des Leidens festgestellt,
und mehr und mehr stiegen im Volke Besorgnis und tief
empfundenes Mitleid. Deutschland ist mächtig, gewaltig in seiner
Kraft, wenn es wie ein gereizter Löwe auffährt, um Rache zu
nehmen für eine schwere Beleidigung; Deutschland ist aber auch
groß, reich in seiner Liebe für sein Kaiserhaus. Tausende von
Menschen umlagerten gleichsam das Palais des greisen kaiserlichen