1. Bd. 3
- S. 122
1899 -
Leipzig Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Richter, Albert
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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öffnet, und wunderbare Kleinode konnte man in denselben schauen.
Während die Jungfrauen sich über diese freuten, auch von den frei-
gebigen Gästen geschenkt erhielten, was sie wünschten, ging der
König zu eineni Lastschiffe, um sich dessen Einrichtung anzu-
sehen. Diesen Augenblick benutzte Wate, der mit der jungen Hilde
sich auf dem Hauptschiffe befand, um die Anker zu lichten. Die
alte Königin ward von ihrer Tochter geschieden, die Bewaffneten,
die bisher im Schiffe verborgen gewesen waren, sprangen auf —
dann wurden die Segel aufgezogen, und das Schiff wurde in
Bewegung gesetzt.
Als Hagen das sah und die Bewaffneten auf dem Schiffe er-
blickte, ward er sehr zornig und rief, daß man ihm seinen Speer
bringe. In kurzer Zeit hatte er ein ansehnliches Heer von Necken
um sich versammelt. Aber es war zu spät. Das Schiff mit feiner
Tochter und deren Jungfrauen flog dahin, und die Helden, die am
Ufer standen, mußten sich damit begnügen, den Räubern einige
Speere nachgeschleudert zu haben, die niemand verwundeten. So-
bald aber Hägens Schiffe segelfertig gemacht waren, eilte er mit
dreitausend Mann den Räubern seiner Tochter nach.
Die kühnen Dänen hatten unterdes einen Boten zu dem Könige
Hettel gesandt, ihm zu melden, daß sie Hägens Tochter in sein
Land brächten. Da freute sich der König, dem Boten ließ er reiche
Gabe reichen, und dann machte er sich nüt seinen Rittern auf, um
der schönen Hilde an den Strand entgegenzugehen.
Als der König Hettel zu seinen Freunden kam, sprach er:
„Ihr lieben Boten mein, große Sorge habe ich um euch gehabt,
denn schon wähnte ich euch in Hägens Kerkern schmachtend." Und
dazu küßte er den alten Wate und Frute von Dänemark. Wate
antwortete: „So weit ist es zwar glücklicherweise nicht gekommen.
Aber das muß ich gestehen, daß ich noch keinen so gewaltigen König
kennen gelernt habe, wie den starken Hagen von Irland. Und seine
Tochter, die wir dir in dein Land gebracht haben, ist in Wahrheit
die schönste Jungfrau in allen Landen. Rur fürchte ich, daß Hagen
diesem Raube nicht ruhig zusehen werde, und wir mögen uns wohl
hüten, daß er uns nicht noch ereile."
Run führten Wate und Frute den König zu der schönen Hilde,
die von Jrold und Morung geführt wurde. Auch von zwanzig
Jungfrauen ward sie begleitet.
Alle die Jungfrauen grüßte der König Hettel aufs freund-
lichste, seine Braut aber umschloß er mit den Armen, und innig küßte
er sie auf den Mund.
Iv. Als es Abend ward, sah Horand ein Schiff nahen, das
trug als Zeichen ein Kreuz im Segel. Horand kannte das Zeichen