1918 -
Halle (Saale)
: Gesenius
- Autor: Sanwürk, S. von, Ehringhaus, Friedrich, List, Heinrich Theodor
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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schon 1895 eine wilde Pressehetze gegen Deutschland. Als nun im
Dezember 1895 ein Engländer Dr. Fameson im Einverständnis mit
dem Minister von Kapland Lecil Rhodes, dem eifrigsten Vorkämpfer
und Begründer des englischen südafrikanischen Kolonialreiches, sich durch
einen Überfall der Hauptstadt Pretoria bemächtigen wollte, wurde er
von den Buren gefangen genommen. Die deutsche Regierung erhob
gegen die Gewalttat Vorstellungen in London und sandte am 3. Januar
1906 ein Telegramm an den Vurenpräsidenten Krüger, in dem sie ihn be-
glückwünschte, daß es ihm gelungen sei, den Friedensstörer festzunehmen
und die ünabhängigkeit des Landes zu wahren. Diese Depesche erweckte
in ganz Deutschland Helle Begeisterung, zumal der „neue Kurs" bisher
vielfach sehr enttäuscht hatte. Sie entsprach eben dem Gerechtigkeits-
gefühl des Volkes und macht ihm alle Ehre; aber politisch betrachtet,
war sie doch ein Fehler. Denn da Deutschland keine leistungsfähige
Flotte hatte und ohne Rückhalt an Rußland war, konnnte es dem see-
beherrschenden England nicht entgegentreten. Deutschland trieb damals
— wie so oft — Gefühls-, nicht Realpolitik, wie Bismarck, d. h. es fragte
nicht, ob sein Verhalten ihm nützte oder schadete. Das unfehlbare Vis-
marcksche Augenmaß für die nackte Machtlage der Dinge hatte gefehlt,
sonst würde man sich weniger vorgewagt haben. In England aber erhob
sich ein furchtbarer Cntrüstungssturm, der sich in den wütendsten Be-
schimpfungen des Deutschen Kaisers und Reiches entlud und uns um
so mehr überraschte, als wir uns über die weitschauenden Pläne Eng-
lands — Schaffung eines großen südafrikanischen Kolonialreichs —
nicht klar waren. Die englische Regierung hinderte den Zeitungssturm
in keiner Weise und beeilte sich nun erst recht, den freien Vurenstaaten
ein Ende zu machen. Deutschland aber blieb gar keine andere Wahl,
als vor dem tatkräftigen Auftreten Englands zurückzuweichen; seitdem
hielt es sich zurück, aber England war verstimmt. Die Krügerdepesche hat
zwar noch nicht, wie vielfach geglaubt wird, den Bruch mit England
herbeigeführt, aber sie bedeutet doch einen Wendepunkt im Verhältnis
der beiden Staaten. Es entstand eine Mißstimmung, die nie wieder
ganz gehoben ist, zumal damals die englische Lügenpresse des Schrift-
stellers Harmsworth, des späteren Lord Rorthcliffe, gegründet wurde,
die gegen uns hetzte.*) Dieses Gift hat immer weiter schamlos um sich
gefressen und den gesunden Sinn des englischen Volks und der anderen
Staaten zersetzt, was uns erst während des Weltkrieges klar wurde.
Die Krügerdepesche war also ein Schlag ins Wasser, zumal auch
Frankreich uns damals nicht unterstützte, sondern offen erklärte, daß
Deutschland sein Feind sei, solange es Elsaß-Lothringen besitze. Da-
durch war auch ein engerer Anschluß Deutschlands an den Zweibund
unmöglich. Das Telegramm brachte zwar nicht den Bruch mit Eng-
land — der erfolgte erst 1901 durch das Jangtse-Abkommen (S. 30) —,
aber es gab England zuerst Veranlassung, seinem Handelsneid Ausdruck
zu geben; denn der eigentliche innere Grund zu dem Benehmen Cng-
*) Die Zeitung „Daily Mail".