1903 -
Leipzig
: Dürr
- Autor: ,
- Hrsg.: Wohlrabe, Wilhelm
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Militärkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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aber würden sie staunen, zu sehen, wieviel besser die Invaliden jetzt
aufgehoben sind als früher, und wieviel behaglicher sie wohnen und
leben. Dieselben Räume, die früher 500—600 Mann beherbergten,
dienen jetzt nunmehr 50 Offizieren und zwar ebensoviel Unteroffizieren
zur Wohnung, von denen allerdings der größte Teil verheiratet ist, so
daß immerhin etwa 300 Menschen in dem Hause leben.
5. Sie bilden eine Welt für sich, in der sie ein behagliches und
ruhiges Leben führen. Wenn auch etliche jüngere Insassen mit ihrer
Familie noch das Getriebe der Großstadt aufsuchen und die Ver-
gnügungen derselben genießen, so sind doch viele andere, die sich an
dem, was das Haus und seine Umgebung bieten, genügen lassen und
froh sind, in der Stille und Zurückgezogenheit bleiben zu können.
Meist ist es auch still im Hanse, und nur selten begegnet man
jemand in den langen Korridoren; die Invaliden sitzen unter den
schattigen Bäumen des Gartens und reden von vergangenen Zeiten,
und drinnen waltet die Hausfrau ihres Amtes, um auch an ihrem Teil
dem Gatten das Leben lebenswert zu gestalten.
An der Spitze des Hauses steht ein Gouverneur und — haupt-
sächlich für die inneren Angelegenheiten des Hauses — ein Kommandant.
Ihnen sind die einzelnen Kompagniechefs untergeordnet, welche hier noch
mehr als bei der Truppe die Sorge für das Wohl ihrer Untergebenen
und deren Familie auf dein Herzen tragen müssen. An sie wendet sich
nicht nur der Mann mit seinen dienstlichen Anliegen, nein, auch die
Hausfrau weiß, daß sie bei ihm ein offenes Ohr findet für die Sorgen
und Nöte innerhalb ihrer vier Wände.
Die vielen Insassen fühlen sich im Grunde als eine einzige große
Familie; das Zusammenwohnen bringt sie auch innerlich einander nahe,
und es mag nicht viele Häuser in der Großstadt geben, wo das Ge-
fühl der Zusammengehörigkeit in schönerer Weise zutage tritt, als im
Jnvalidenhause — und das bei fröhlichen wie traurigen Anlässen. An
beiden fehlt es dort nicht! Die vaterländischen Erinnernngstage, obenan
der Geburtstag des alten Fritz, bieten Gelegenheit zur Feier für die
Offiziere wie für die Mannschaften, und die Kasinokommission sorgt,
daß es auch den Damen nicht an Vergnügen fehlt. Mehr als einmal
kommen sie im Laufe des Jahres im Kasino zusammen, und die unge-
zwungene Fröhlichkeit, die dann herrscht, läßt es den eingeladenen Gast
ganz vergessen, daß er sich im Jnvalidenhause befindet. — Aber auch
ernste Tage kommen vor, wenn der Tod in das Haus einkehrt und
unter den Alten und Gebrechlichen seine Opfer aussucht. Dann ist es
noch stiller dort als sonst, und leise schleicht ein jeder an der Tür der
betreffenden Wohnung vorüber, um die Ruhe des Toten nicht zu stören.
In solchen Zeiten öffnet sich dann das Tor des Kanonenhofs, das sonst
stets verschlossen ist, und der Entschlafene nimmt zum letztenmal aus