1903 -
Leipzig
: Dürr
- Autor: ,
- Hrsg.: Wohlrabe, Wilhelm
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Militärkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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M erinnere mich ganz genau, lind sag mir nur, wie gefällt
es dir denn jetzt als Soldat?"
Der Soldat wurde plötzlich wie umgewaudelt, er senkte die Augen
und schwieg.
„warum bist du nicht mit den anderen spazieren gegangen?"
Tr antwortete nicht und betrachtete seine Nägel, als wenn er
überlegte, was er sagen sollte; aber man las ihm die Gedanken von
den Augen ab.
„was ist dir?"
Da löste sich seine Zunge, und er wurde immer erregter und
begann mit zitternder Stimme:
„0 hören Sie mich an, Herr Offizier; ich weiß gar nicht, was
ich an mir habe, aber man behandelt uns in einer weise, die einem
mißfallen muß, das ist es. wenn man frägt, erhält man keine Ant-
wort, dann sagen sie einem beleidigende Worte, und man muß still
sein, sonst winkt einem das Gefängnis dort" (und er ahmte die
Stimme des Aorperals nach). „Zch weiß es selbst sehr wohl, daß
wir uns noch nicht zu kleiden verstehen und daß wir noch keine guten
Soldaten sind; aber wir sind erst zwei Tage hier; was können wir
dafür? — Haben wir etwas verbrochen? — Wan weiß es, daß wir
eben deshalb hergekommen sind, um es zu lernen, und man müßte
etwas Geduld mit uns haben, scheint mir. Wan spottet über uns
in Gegenwart der Leute, und dann vergreisen sie sich selbst an uns
und puffen uns, und wir müssen alles ertragen, während sie über
uns lachen. . . . Zch kann es nicht begreifen, warum sie uns so be-
handeln. Zch bin gern zu den Soldaten gekommen und sagte mir:
Zch werde meine schlicht tun und die Vorgesetzten werden mich gern
haben, aber jetzt, da ich sehe. . . . Vielleicht wenn man sich daran
gewöhnt haben wird, wird man nicht mehr darauf achten, aber jetzt
tut es einem weh, wenn man in dieser Weise gemißhandelt wird.
Wir waren ans Haus gewöhnt, an die Familie, alle liebten uns,
wogegen hier . . . Das tut weh, das tut zu weh!"
Die letzten Worte sprach er mit wahrhaft trostlosen: Ausdruck;
dann schwieg er und murmelte, die Augen senkend, weiter in sich
hinein.
' Der Offizier ließ einige Augenblicke schweigend verstreichen. Tr
zündete sich eine Zigarre an, dann erwiderte er mit einer gewissen
sorglosen wiene, als wenn er nichts gehört hätte oder nichts ge-
hört haben wollte: „Zieh deinen Aragen etwas herab," und er half
ihm dabei. „So! Zetzt sitzt er gut. Dreh dich um."
Der Soldat drehte sich um. Der Offizier faßte ihn und zog ihm
die Rockschöße herab: „Der Rock darf keine Falten werfen, er muß
glatt sitzen wie ein Wieder. Dreh dich um!"