1904 -
Berlin
: Weidmann
- Autor: Wolff, Emil
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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Iii. 1806—1840.
das geistige Leben des niederen Volkes, der mit der Kraft seiner
unendlichen Liebe, seines Erbarmens und seiner Geduld mit einer
Hingebung und Selbstlosigkeit sonder gleichen die Herzen gewann und
zu seiner Nachfolge stimmte, das war der Schweizer Heinrich Pesta-
lozzi. Er hatte im eigenen Leben nie etwas anderes als Armut
und Entbehrung kennen lernen und so bezeichnete er es als die
Aufgabe der Schule, die Armen für die Armut zu erziehen d. h.
ihre geistigen und sittlichen Kräfte so zu bilden, daß die Armut
ihren Druck verliere. Er zeigte durch Lehre und Beispiel, daß
aller echter Unterricht nur darin bestehe, daß die im Kinde vor-
handenen Kräfte durch zweckmäßige Mittel entwickelt würden, und
verlangte, daß aller Unterricht zugleich sittliche Erziehung sei. An
die Stelle des handwerksmäßigen Einpaukens setzte er ein organisches,
naturgemäßes Bilden und stellte siegreich den Grundsatz auf, daß
aller Unterricht ans Anschauung gegriindet werden müsse. Die Sinne
seien zuerst zu bilden, mit ihrer Hülfe die Denkkraft. Den Leibes-
übungen wies er einen wichtigen Platz an. Um ihn sammelte sich
eine beträchtliche Zahl junger Männer ans Preußen, die seine Lehr-
weise annahmen und sich an seiner Persönlichkeit begeisterten. Sie
wurden die geistigen Väter einer großen Nachkommenschaft, die die
außerordentlich wichtige Aufgabe der preußischen Volksschule mit
Kraft und Verständnis erfaßte und in stiller Arbeit, durch innere
Schaffensfreude über den Mangel äußern Lohnes getröstet, sie
mächtig förderte. An die Stelle der naturwidrigen Buchstabier-
methode trat die des Lautierens. Auch im Rechnen wurde der
schwerfällige Einzelunterricht endlich durch den Klassenunterricht er-
setzt. In den gehobenen mehrklassigen Volksschulen fand auch schon
die von Pestalozzi nachdrücklich empfohlene Raumlehre (Geometrie)
eine Stätte. Geschichte, Erd- und Naturkunde begann man mit
bescheidenem Anfang zu lehren. Über das Turnen, dem Guts-
Muths in der Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal zuerst eine Stätte
bereitet und das dann Turnvater Iahn in den Dienst des Vater-
landes gestellt hatte, wurde freilich von den sortschritts- und freiheits-
feindlichen Vertretern des Polizeistaats 1819 die Sperre verhängt,
aber 1842 wurde es für die Seminarien wieder freigegeben und
1851 die „Königl. Zentral-Turnanstalt" in Berlin zur Heranbildung
tüchtiger Turnlehrer gegründet. In den Gesangsunterricht, der um