1. Bd. 1
- S. 81
1911 -
Leipzig
: Scheffer
- Autor: Otto, Berthold
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Aber wenn der Reichstag ausgelöst worden ist, dann gibt's
irgend etwas sehr Wichtiges, dann ist irgendwie das ganze
Reich und das ganze Volk in Gefahr. Und mitunter ist die
Gefahr sogar größer, als die meisten Leute wissen. So war es
1887. Und merkwürdigerweise ist 1907 fast genau mit den-
selben Worten „agitiert" worden wie damals. Auch damals
war die Zentrumspartei daran schuld, daß der Reichstag
aufgelöst werden mußte. Und auch damals sagten die Herren von
der Zentrumspartei, es wäre sehr dumm gewesen von der Regie-
rung, daß sie den Reichstag aufgelöst hätte, denn der Reichstag
hätte doch der Regierung „jeden Mann und jeden Groschen" be-
willigt. Und ebenso sagten die Herren vom Zentrum jetzt, sie
hätten der Regierung jeden Mann und jeden Groschen bewilligt.
Aber das muß man jetzt schon sehr stark anders herum denken,
wenn man begreifen will, wie die Herren das meinen. Sie haben
erstens neun Millionen überhaupt weggestrichen, und zweitens
haben sie gesagt, daß die Regierung später nur noch 2500 Mann
in Afrika haben dürfte und daß der Reichstag für mehr Leute
kein Geld bewilligen würde, ganz egal ob dort mehr Leute nötig
wären oder nicht. Denn der Reichstag wüßte schon ganz
genau, daß da nicht mehr Leute nötig wären. Nun hat der Reichs-
tag allerdings nicht verlangt, daß die vielen Soldaten schon jetzt
in diesem Jahre zurückkommen sollten, und darum sagen die
Herren vom Zentrum, der Reichstag hätte „jeden Mann und
jeden Groschen" bewilligt. Das heißt für dieses Jahr.
Aber das war für die Regierung eben nichr genug. Da hätten
alle Völker und vor allem auch die Leute in Afrika selber denken
können oder gar denken müssen, daß die Regierung späler
Afrika nicht mehr hätte verteidigen können. Nun sind aber in
Afrika ein paar Tausend deutsche Soldaten gefallen. Und wenn
das einmal für ein Land geschehen ist, dann darf das Land nicht
wieder aufgegeben werden. Das darf nicht sein, daß ein paar
tausend Soldaten für nichts und wieder nichts ums Leben ge-
komlnen sind. Das, wofür unsere deutschen Brüder gestorben sind,
das müssen wir auch festhalten. Das sind wir, wenn wir ein an-
ständiges Volk bleiben wollen, uriseren gefallenen Brüdern schul-
dig. So hat die Regierung gemeint, und darin hat ihr das
deutsche Volk recht gegeben.
Also grade zwanzig Jahre früher hatte der Reichstag auch
„jeden Mann und jeden Groschen bewilligt", aber er hatte der Re-
gierung ein paar Jahre abhandeln wollen. Nämlich damals
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