1912 -
Leipzig
: Quelle & Meyer
- Autor: Herre, Paul, Bernheim, Ernst
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar, Lehrerinnenseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Gesellschaftskunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Leitende Grundsätze.
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Staatsform, und sie zeigt in der ausgesprochensten weise, daß
es ein Kompromiß ist, zeigt, wie er theoretisch und praktisch zu-
stande kommt. Art. 2 des Titre Iii begründet den Kompromiß
theoretisch: la nation, de qui seule émanent tous les pouvoirs,
ne peut les exercer que par délégation, die Nation,
von der allein alle Gewalten ausgehen, kann diese nur durch
Übertragung ausüben; und sie „überträgt" die Staats-
gewalten, wie wir gleich nachher sehen werden, teils an Volks-
erwählte, teils an einen König als ihre Vertreter.
2. Daß der absolute Monarch, indem er sich freiwillig an
eine von ihm erlassene Verfassung bindet, zur Konzession einer
konstitutionellen Monarchie kommen kann, haben wir vorhin be-
reits als möglich hingestellt, und es ist das, ebenfalls in typischer
Form, geschehen, als nach der Wiederherstellung der alten Herr-
schaft der Bourbons in Frankreich Louis Xviii. am Juni
die „Charte constitutionelle“ erließ. Am Schlüsse der
Vorrede zu dieser Verfassung sagt er: nous avons volon-
tairement et par le libre exercice de notre autorité royale
accordé et accordons, fait concession et octroi
à nos sujets, tant pour nous que pour nos successeurs et à
toujours, de la charte constitutionelle, qui suit, wir haben
freiwillig und kraft freier Ausübung unserer königlichen
Autorität bewilligt und bewilligen, haben unseren Untertanen
zugestanden und oktroyiert die folgende Ver-
fassungsurkunde; und er „konzediert" demgemäß dem Volk einen
Anteil an der Ausübung der Staatsgewalten, wie wir erörtern
werden.
Also von Seilen der Volkssouveränität gelangt man durch
„Übertragung", von Seiten der Fürstensouveränität durch „Kon-
zession" zum Kompromiß einer konstitutionellen Monarchie.
z. Es kann aber auch von beiden Seiten auf die ausdrückliche
Geltendmachung des Prinzips verzichtet und eine Verfassung
durch „Vereinbarung" geschaffen werden, indem jeder
Teil seine Rechte erhält. So ist schließlich wenigstens der Form
nach die preußische Verfassung zustande gekommen, so die des
Norddeutschen Bundes und die des Deutschen Reiches.
Es ist einleuchtend, daß dieser Kompromiß in seiner prak-
tischen Gestaltung recht verschieden ausfallen kann. Zu wessen
Gunsten, hängt offenbar davon ab, auf welcher Seite bei der Ent-
stehung des Verfassungskompromisses die stärkere Macht liegt,