1912 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Bessiger, M. Alfred
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Unterrichtstheorie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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— und wer sollte sich heute scheuen, so etwas offen zu bekennen! —
führte die Arbeitsunlust auf ein Sondergebiet: Ich dichtete — heim-
lich und — — unheimlich. Das ist heute, Gott sei Dank, anders
geworden: Ich habe mich zu meiner alten lieben Schularbeit zurück-
gefunden, deren Produktivität ja auch Poeten verlangt, warme,
für alles Gute und Schöne empfängliche und begeisterte Herzen;
und in meiner Schule herrscht „Arbeitsfreudigkeit", die wie goldner
Sonnenschein auf allen den kleinen, lieben Gesichtern liegt und
die Wangen rötet und den Augen fröhlichen Glanz verleiht. Auch
ihr, Landlehrer der kleinsten unter den Schulen, treibt das düstere,
hohläugige, bleichwangige Schulgespenst aus euern Mauern! Türen
und Fenster auf, daß der frische Frühlingshauch einer neuen Schul-
ära durch die Zimmer streichen kann und den dumpfen Druck
bleierner Winteröde aus Lehrer- und Kinderherzen hinwegweht
und sie rascher und freudiger schlagen macht, daß die warme Früh-
lingssonne die Eisrinde um die Kinderherzen schmilzt und aus den
verschlossenen Blüten der Kindesseele strahlende Blumen hervor-
zaubert! O, ihr ahnt ja nicht, wie unermeßlich viel Freude und
Schönheit auch in dem kleinen Raume eurer Schulstuben wohnen
kann!----------—
Die Forderung der Möglichkeit einer Entladung geistiger
Spannungen durch körperliche Äußerungen, zu denen nicht nur
allgemeine Körperbewegungen, Mienen- und Gebürdenspiel und
manuelle Betätigung, sondern auch der Gebrauch der Sprachorgane
zu rechnen sind (denn Anschauung und Sprache sind Korrelate:
Eindruck und Ausdruck), verpflichtet zunächst dazu, die Kinder an
selbständiges Sprechen zu gewöhnen. Patzig und Linke zitieren
in ihrem Buche „Tätiger Geist und geschickte Hand" dazu: „Die
Schüler müssen, damit ihr geistiges Leben in munteren Fluß
komme, mehr reden, aus sich herausgehen lernen, müssen
im Denken und Sprechen an größere Selbständigkeit gewöhnt und
dürfen beim Lehrgespräch nicht fort und fort an der Hand ermüden-
der, spielend leicht zu beantwortender, oft nur auf Nebensächliches
gerichteter Fragen ängstlich geleitet werden, wie wenn ihnen höhere
Anforderungen geradezu unzuträglich wären. Leicht genug finden
sie sich in eine Methode, die ihre Selbständigkeit ernstlich in An-
spruch nimmt. Man ist von früher her gewöhnt, kommt jedoch
mehr und mehr davon zurück, im ununterbrochenen Geplapper des
Frage- und Antwortspieles die Stärke des Lehrers zu sehen."
Der Versuch zur Gewöhnung an selbständiges Reden, ans Aus-
sichherausgehen erstreckt sich nach zwei Seiten hin. Er gilt den
Neulingen und den Kindern des zweiten bis vierten Schuljahres.
Da das Dorfkind im allgemeinen isolierter aufwächst als
das Stadtkind, ist der Schulnovize auf dem Lande gewöhnlich auch