1894 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Mittenzwey, Louis
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule, Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13, Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Gesellschaftskunde
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Das Recht und seine Entwickelung.
— Aus kleinen Beleidigungen entstand leicht ein Haß auf
Lebenszeit. Und war vielleicht bei diesem Streben, seine eigene
Sache zu richten, das Familienhaupt umgekommen, so vererbte
sich der Haß und das Streben nach Wiedervergeltung auf die
Nachkommen. Es entstand der schreckliche uralte Gebrauch der
Blutrache, z. B. bei welchen Völkern? — In unserer Zeit ist
Selbsthilfe verboten. — Faustrecht — Femgerichte.
3. Gerichtshilfe. Je mehr Menschen wurden und je enger
sie deshalb zusammen wohnten, desto mehr wurden sie genötigt,
aufeinander Rücksicht zu nehmen, sie mußten sich an ein fried-
licheres Zusammenleben gewöhnen. Dazu kam ein Zweifaches-
1) Die Selbsthilfe führte zu immer neuen Gewaltthätigkeiten
(Fehden), 2) Oft war der Beschädigte schwächer, als der Übel-
thäter, der ihn verletzt, beraubt, beleidigt hatte, dann konnte er
sich nicht zu seinem Rechte verhelfen. Da traten denn die
Familienväter zusammen und hielten Gericht; wir finden hier
die Anfänge der öffentlichen Rechtspflege. Der Beschädigte lud
seinen Gegner vor die Gerichtsversammlung und erhob dann
in feierlicher Weise seine Anklage. Der Beklagte mußte hierauf
antworten, und dann sprach die Gerichtsversammlung ihr Urteil.
Wer auf eine Vorladung vor Gericht nicht erschien, mußte eine
Buße leisten, und bei wiederholter Versagung des Gehorsams
wurde er friedlos (rechtlos, wolfsfrei, d. h. jeder durfte ihn wie
einen Wolf erschlagen). Wo die Gesamtheit direkt verletzt war,
machte sie sofort ihr Verhältnis zum Friedlosgewordenen geltend,
indem sie den Landesfeind zu töten beschloß und durch Priester-
hand den Göttern opfern ließ.
Als Träger des Rechts erschienen nur die freien Volksge-
noffen. Rechtlos ist der Unfreie (Hörige, Sklave), rechtlos auch
der Fremde.
4 Ungeschriebenes und geschriebenes Recht. Das Recht
ist in der Zeit etwa bis zur Völkerwanderung ein ungeschriebenes,
es ist Gewohnheitsrecht. Der freie Mann kennt es infolge seiner
pflichtmäßigen Teilnahme an der öffentlichen Rechtsprechung. Die
naiv sinnliche Auffassung, welche selbst in der Sprache des Rechts
zum Ausdruck kam, der Reichtum an Formen und Symbolen,
in welche sich der Rechtsgedanke kleidet, trugen dazu bei, das