1910 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Bodesohn, August
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch, Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13, Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen, ISCED 5 – Tertiärbereich
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Deichsler stellte sich mit seinen Leuten in die Reihe und löste an-
dere ab. Es war eine eisig kalte Nacht und die ledernen Eimer
klebten ihm an den Händen. Stadtknechte ritten herum, er-
munterten die Zuschauer zur Arbeit und schauten den Dieben aus
die Finger; eben wurde einer fortgeführt, dem der Henker schon
früher beide Ohren abgeschnitten und ihn durch die Backen ge-
brannt hatte; er war soeben wieder beim Stehlen ertappt worden.
Noch schlägt das Feuer hoch hinaus und die glühenden Balken
krachen. Da — auf einmal kommt kein Eimer mehr; der Brunnen
ist ausgeschöpft. Besorgt sah Deichsler die vom Feuer beleuchteten
Nachbarhäuser au. „Die Gasse da hinten ist eng," sagte er zu
seinem Nachbar, „und die oberen Stockwerke sind so weit heraus-
gebaut, daß man sich vom Fenster aus über die Gasse die Hände
reichen kann; viele Häuser sind von Fachwerk und mit hölzernen
Dachschindeln gedeckt." „Ja." antwortete der Nachbar, „das kann
gefährlich werden; die Stallungen im Hof haben meistens Stroh-
dächer. Siehst du, wie die Funken überall herumfliegen?" — Bis
man vom Fischbach Wasser herbeiholte, warf man mit Schaufeln
Schnee und Eis ins Feuer. Ein Mann hieb mit dem Messer auf
der Straße die Eisschollen auf und schleuderte sie in die Flammen.
Erst gegen Morgen gelang es. den Brand zu löschen. Deichsler,
der Armenrat war, brachte die obdachlosen Familien in ^Nachbar-
häusern unter. Die Stadt erlaubte ihnen, von Haus zu Haus um
Gaben zu bitten, damit sie ihre Häuser wieder aufbauen konnten.
Aus Scheiblhuber: Deutsche Geschichte.
18. Die Stadtverwaltung im 15. Jahrhundert.
Seit etwa 1450 verschlechtert sich die Beschaffenheit der Stadt-
behörden mehr und mehr. Schließlich enden sie in völliger
Korruption.
An der Spitze der Stadt finden wir nach wie vor den Rat.
Aber die Besetzung seiner offenen Stellen fand jetzt in der Regel
durch Kooptation, und zwar auf Lebenszeit, statt, was natürlich
seine Macht der Bürgerschaft gegenüber erheblich stärkte. Dabei
ist die an sich schon bedeutende Zahl der Magistratsstellen in stetem
Wachsen begriffen, so daß in Berichten oft darüber geklagt wird,
daß die Konfusion in der Geschäftsführung bei den vielen Rats-
herren unvermeidlich sei. 1630 hatte Magdeburg 7b Magistrats-
Personen: Bürgermeister, Kümmerer, Svndizi und Ratsherren;
Halle 1687 deren 78; Berlin 1707 bei 55 000 Seelen 75, während
in der letzteren Stadt im Jahre 1800 nach der Neuregelung der
städtischen Verwaltung bei 172 000 Einwohnern 18 Stadtbeamte
genügten.
_ Die Hauptursache für die hohen Mitgliederzahlen war das
System der wechselnden ..Ratsmittel", eine Einrichtung, bei der
eine bestimmte Grupve umschichtig, in der Regel alle drei Jahre,
an die Reihe kam. Dieser Ratswechsel war in der Blütezeit der