1910 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Bodesohn, August
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch, Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13, Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen, ISCED 5 – Tertiärbereich
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
86
Gefühl, daß er es nicht nur vertrug, sondern sich gehoben fühlte
durch den Gedanken, einen energischen und mächtigen Diener zu
haben. Er war zu vornehm für das Gefühl eines Edelmanns,
der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe vertragen
kann. Nicht einen Augenblick kam ihm der Gedanke einer Eifer-
sucht auf seinen Diener und Untertanen in den Sinn, und nicht
einen Augenblick verließ ihn das königliche Bewußtsein, der Herr
zu sein, ebenso wie bei mir alle Huldigungen das Gefühl, der
Diener dieses Herrn zu sein, und mit Freuden zu sein, in keiner Weise
berührten. Diese Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre
Begründung in einer überzeugungstreuen Anhänglichkeit an das
Königshaus; aber in der Art wie sie vorhanden war, ist sie doch
nur möglich unter der Einwirkung einer gewissen Gegenseitigkeit
des Wohlwollens zwischen Herrn und Diener, wie unser Lehnrecht
die ,Xreue‘ auf beiden Seiten zur Voraussetzung hatte.
Solche Beziehungen, wie ich sie zum Kaiser Wilhelm hatte, sind
persönlich, und sie wollen von dem Herrn sowohl wie von
dem Diener, wenn sie wirksam sein sollen, erworben sein."
23.: Eine Bismarckrede. Bismarck: Gedanken und Erinnerungen. Ii.
41. Der bekehrte Stiefelknecht.
2n der Schreibstube des Amtsmanns stand ein Stiefelknecht,
der brummte unzufrieden vor sich hin: „Es ist doch ein jämmerlich
Ding um das Leben, wenn man immer im Winkel stehen und auf
die Herren Stiefel warten muß! Und wie beschmutzt kommen sie
oft an, und wie grob behandeln sie mich armen Knecht! Wenn ich
den einen ausziehe, so tritt mich der andere! Ja, die Stiefel haben's
gut, die bekommen die Welt zu sehen! Während ich hier in der
Ecke stehen muß, gehen sie spazieren im Sonnenschein, und wenn
sie müde sind, dann heißt's: Stiefelknecht her! und ich muß die
großen Herren ausziehen, und sie stellen sich bequem in eine Ecke."
Die Stiefel, denen diese Rede galt, gehörten dem Schreiber,
der sie ausgezogen hatte, um sich's leicht zu machen. Sie machten
bei der Rede lange Schäfte, und der Stiefel des rechten Beines
sprach zum Stiefel des linken Beines: „Bruder, wir sollen es gut
haben! Wir sollen Herren sein! Der dumme Stiefelknecht weiß gar
nicht, wie gut er's hat. Der Lump hat den leichtesten Dienst. Aber
wir, wir werden den lieben Tag hindurch und oft genug durch dick
und dünn gejagt: im Sommer ersticken wir fast vor Staub, im Winter
frieren wir im Schnee, und wenn es regnet, dann sind wir immer in
Gefahr zu ersaufen. Ach, und das Pflaster! Die scharfen Steine,
die kein Erbarmen kennen! Ich möchte nur wissen, wie viel Haut
sie mir heute abgerieben haben; ich bin unten ganz durchsichtig ge-
worden. Es ist ein mühevolles Leben, wenn man dienen muß!"
Der Stiefelknecht horcht hoch auf. „Bruder," sagte der
Stiefel vom linken Beine, „das Treten wollt' ich mir noch gefallen