1910 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Bodesohn, August
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch, Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13, Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen, ISCED 5 – Tertiärbereich
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Hamburg wiesen im Jahre 1896 im Bergleich mit dem Durch-
schnitt der Jahre 1871 bis 1880 eine Verminderung von
60 Millionen, oder auf, während in derselben Zeit die Zu-
fuhren von Übersee sich um 7oo Millionen oder 350% hoben.
In den fünfziger Jahren betrug die Ausfuhr von Hamburg
nach England % des Gesamthandels, 1896 nur noch V4- Dies
beruht darauf, daß in Deutschland immer kräftiger solche Industrien
sich entwickelt haben, die ihre Rohmaterialien von überseeischen
Ländern beziehen, wie andererseits die Aufmerksamkeit sich immer
mehr darauf gerichtet hat, den in Deutschland verfertigten Fabrikaten
die überseeischen Märkte zu erschließen.
Einst mußte man im Außenhandel überwiegend mit fremdem
Capital und fremden schiffen arbeiten, weshalb dem Auslande
auch der Löwenanteil am Gewinn zufloß. Heute ist es anders
geworden. Milliarden deutschen Kapitals arbeiten im Auslande,
teils durch dortige Unternehmungen, teils durch Darlehen, die
Deutschland fremden Kapitalsuchern gegeben hat. 5oo bis 6oo
Millionen fließen jährlich ins Land durch die Kanäle des deutschen
Besitzes fremder Wertpapiere, nicht geringer dürften sich die Ein-
nahmen aus den überseeischen Handelsgeschäften für den deutschen
Handel und die deutsche Industrie belaufen. Wir haben drüben
Faktoreien und Pflanzungen, Fabriken und Bergwerke, Warenlager,
Handlungshäuser und Banken. Die Erträge der Seefischerei, einst
sehr gering, haben sich in zwei Jahrzehnten vielleicht auf 20 Millionen
erhöht. Wir haben begonnen, Kolonien zu bearbeiten, wir haben
angefangen, eine Marine zu begründen. Die Grundlagen zum
weitern Fortschreiten nach dieser Richtung sind gegeben, und es
wäre töricht, wollten wir unsern Außenhandel, der für den Kauf-
irtcmn, mehr aber noch für die deutsche Industrie so gewinnbringend
ist. einzuschränken suchen. Ihm verdankt es der Arbeiter vielfach,
daß seine Beschäftigung, auch wenn die Preise sinken, fortdauern
kann, und daß die Löhne nicht herabgedrückt zu werden brauchen.
Wenn es erforderlich ist, daß unserer Landwirtschaft geholfen
wird, so wäre nichts verkehrter, als dies dadurch zu versuchen,
daß man eine der Einnahmequellen der deutschen Volkswirtschaft,
den Außenhandel, verstopft. Gerade dadurch, daß wir unser
Kapital in Ländern arbeiten lassen, wo es höhere Erträge bringt
als bei uns, können wir am ersten in die Lage kommen, die
heimische Landwirtschaft zu stützen, den heimischen Arbeiterstand
fortgesetzt zu heben.
Aber wir dürfen uns auch nicht von außen schädigen lassen,
sondern müssen im Wettbewerb mit den übrigen Nationen an-
dauernd eine vorteilhafte Stellung auf dem Weltmarkt zu ge-
winnen suchen. In der Mitte Europas gelegen, Kreuzungspunkt
wichtiger und wesentlicher Verkehrsadern, kann Deutschland aus
dem Kreise seiner jetzigen Entwicklung nicht heraustreten; es muß
mitgehen oder untergehen. Es muß für seine rasch wachsende
Bevölkerung sorgen und sich den Zutritt zu solchen Gebieten