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1. Lesebuch für staatsbürgerliche Bildung - S. 5

1913 - München : Lindauer
Die Staatsformen. 5 in der Hand einer bevorzugten Minderheit oder in der des ganzen Volkes liegt. Mit diesem der Quantität entnommenen Merkmale ist indessen nur angegeben, was sich an die Oberfläche drängt, in der Tat handelt es sich um tiefer liegende Unterschiede. Die Monarchie darf als die älteste unter den dreien angesehen werden. In den Staaten des griechischen Altertums verschwand das Königtum frühzeitig und machte einem republikanischen Gemeinwesen Platz, in welchem die vornehmen Geschlechter die Herrschaft führten. Die weitere Entwicklung, welche durch mannigfache Partei- kämpfe, wohl auch durch eine vorübergehende Wiederkehr der Einherrschaft in Gestalt der Tyrannis bezeichnet war, führte sodann zur Demokratie. Hier in- teressiert indessen nicht so sehr die geschichtliche Aufeinanderfolge der drei Staats- formen als der Umstand, daß von ihnen die Aristokratie weit mehr als die beiden anderen an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist, welche sich nicht willkürlich herbeiführen lassen, sondern selbst das Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung sind. Eine Minderheit regiert hier, nicht weil ihr von der Gesamtheit die Herr- schaft übertragen worden wäre, sondern auf Grund eigenen Rechts. Die einzelnen Mitglieder sind zu derselben berufen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem über die Masse des Volks hinausgehobenen Stand. Möglich ist eine aristokratische Staatsform somit nur da, wo ein solcher Stand gegeben ist, wo eine unter sich enge verbundene Minderheit die übrigen durch Reichtum, Macht und Einfluß überragt. Daß den solchergestalt höher Stehenden auch die Fürsorge für das Gemeinwesen zusteht, erscheint dann als naturgemäß. Das tatsächlich Bestehende wird durch Gewöhnung und lange Dauer geheiligt und durch den innerhalb der herrschenden Minderheit gepflegten, von Generation auf Generation vererbten staatsmännischen Sinn gerechtfertigt. Das glänzende Beispiel eines aristokratischen Staatswesens bietet die Republik Venedig. Über die Berechtigung der aristokra- tischen Staatsform mit Vernunftgründen zu streiten hat keinen Sinn. In die Theorie vom Ursprünge des Staates aus Vertrag läßt sie sich nicht einordnen. Sie kann nur geschichtlich gewürdigt werden. Daß in den Kulturländern der Neuzeit Verhältnisse wiederkehren werden, welche ihr Aufkommen befördern, ist wenig wahrscheinlich. Weder die Unruhe und Vielgestaltigkeit des modernen Wirt- schaftslebens noch die moderne Tendenz zur Großstaatbildung sind ihm günstig, ganz abgesehen von der weitverbreiteten und tief eingewurzelten Abneigung gegen alles, was der staatsbürgerlichen Gleichheit Abbruch tut und an die gesellschaft- liche Gliederung älterer Zeiten erinnert. Anders steht es mit der Monarchie und Demokratie. Sie sind in den ver- schiedenen Perioden der Geschichte und bei den verschiedenen Völkern in ver- schiedener Weise aufgetreten und sie können, weil viel weniger von besonderen Verhältnissen abhängig, die Veränderungen der sozialen Struktur wie den Wechsel der staatsrechtlichen Theorien überdauern. Untereinander stehen die beiden in einem prinzipiellen Gegensatz. Zwar ist ganz falsch, was behauptet wurde, das auszeichnende Merkmal der Demokratie sei die Loslösung von jeder religiösen Welt-
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