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1. Lesebuch für staatsbürgerliche Bildung - S. 10

1913 - München : Lindauer
Lo Unser deutsches Vaterland. kultur der Menschheit vorkommt. Es sei gestattet, dies mit ein paar Strichen auszuführen. Wie Deutschland in geographischer Beziehung das Land der Mitte ist, so ist es auch in kultureller Hinsicht die Mitte Europas. Die Rolle des Vermittlers zwischen Westen und Osten, zwischen Süden und Norden, die ihm von der Natur zugeteilt ist, die es in Hinsicht auf den wirtschaftlichen und persönlichen Verkehr jetzt in beständig steigendem Maße übt, diese Rolle hat es in Absicht auf die Vermittlung der geistigen Güter seit Jahrhunderten gespielt. Es hat Fremdes aufgenommen und in sich verarbeitet und es hat Empfangenes und aus dem Eigenen Erzeugtes weitergegeben wie kein anderes mitlebendes Volk. Kein großes Volk ist jemals fremden Kultureinflüsfen so aufgeschlossen gewesen wie das deutsche. Wie das Land selbst fast nach allen Seiten mit offenen Grenzen daliegt, so hat sich das Volk stets in erstaunlichem Maße für fremde Geisteskultur aufnahme- fähig und willig erwiesen, hin und wieder bis zur Gefahr des Selbstverlustes. Die Dinge sind aller Welt bekannt, doch erinnere ich an ein paar Punkte. Gegen Italien ist Deutschland durch Naturgrenzen am meisten abgeschlossen; durch geschichtliche Beziehungen ist es mit ihm am längsten und zeitweilig am engsten verbunden. Im Mittelalter schienen Kirche und Kaisertum bestimmt, beide Länder in ein Reich zu vereinigen. Noch in der Renaissance wirkte diese Einheitstendenz nach: in keinem Lande ist diese mächtige und eigenste Bewegung des italienischen Geistes bereitwilliger aufgenommen worden und tiefer einge- drungen als in Deutschland. Auch das Römische Recht, das mit der Renaissance- bildung seinen Einzug hielt, hat sich nirgends so wie in Deutschland als geltendes Recht eingelebt: ein Zeugnis der politischen Schwäche, aber zugleich ein Zeugnis der Geltung gelehrter Erkenntnis. Im 17. Jahrhundert beginnt die französische Bildung ihre siegceiche Lauf- bahn. Das ganze 17. und 18. Jahrhundert hindurch sind ihr in Deutschland alle Pforten weit aufgetan. Französische Sprache und Literatur erlangen in der deutschen Gesellschaft eine fast unbedingte Herrschaft. Sind auch für uns schmerz- liche Erinnerungen damit verbunden, so wollen wir doch das gute alte Wort des Hesiod nicht vergessen, daß freilich die Palme dem gebührt, der selber jegliches sieht und schafft, daß aber auch der zu loben ist, der von dem Überlegenen zu lernen weiß: nur der taugt nichts, der selbst nichts weiß und auch nichts lernen will. Wie bildungsfreudig das Deutsche damals von dem vorangeeilten Nach- barvolk lernte, dafür sind zwei in ewigem Jugendglanz leuchtende Gestalten des 18. Jahrhunderts uns Zeugen: Friedrich der Große und Goethe. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt daneben englischer Einfluß einzuströmen. War die höfische Welt vorzugsweise das Organ gewesen, womit das deutsche Volk die Einflüsse der französischen und italienischen Bildung und Kunst aufgenommen hatte, so war es das neue erstarkende Bürgertum, das zuerst den Wert der Literatur und Philosophie des stammverwandten englischen Volkes empfand, Wieland und Lessing, Kant und Herder an der Spitze. Gleichzeitig
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