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1. Lesebuch für staatsbürgerliche Bildung - S. 28

1913 - München : Lindauer
28 Unser deutsches Vaterland. Der Reichstag ist die Vertretung des im Reiche wohnenden Volkes und seine Abgeordneten werden auf Grund des allgemeinen, gleichen, direkten und ge- heimen Wahlrechts gewählt; jeder Reichsangehörige, der 25 Jahre alt ist und sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindet, hat Wahlrecht. Die Zahl der Abgeordneten wurde auf 397 festgesetzt. Mit deutscher Gerechtigkeit wurden auch die undeutschen und deutsch- feindlichen Bevölkernngsbestandteile mit dem Wahlrechte aus- gestattet, wie Polen, Dünen und bald auch die Französlinge Elsaß-Lothringens; man dachte nicht daran, das wichtigste Bürgerrecht dadurch vor Mißbrauch zu bewahren, daß man es Reichsfeinden versagte; so konnte es kommen, daß diese Feinde des Deutschen Reiches durch ihre Vertreter im deutschen Reichstage eine deutschfeindliche Politik treiben können. Der Bundes rat ist die Vertretung der deutschen Einzelstaaten; er zählt insgesamt 58 Stimmen, von denen Preußen 17, Bayern 6, Sachsen und Württem- berg je 4, Baden und Hessen je 3, Brannschweig und Mecklenburg-Schwerin je 2, die anderen je 1 Stimme haben. Wieder hatte Preußen sich mit einem Stimm- rechte begnügt, das seiner tatsächlichen Macht und seinen Leistungen nicht ent- sprach, aber Bismarck wollte durch so weise Beschränkung zeigen, daß der deutsche Großstaat die Mittel- und Kleinstaaten nicht entrechten wolle; er sicherte Preußen dadurch, daß in allen wichtigen Fragen gegen seine Stimmen kein Beschluß zu- stande kommen kann. Den Vorsitz im Bundesrate führt der Reichskanzler, der einzige Minister des Reiches, in dessen Hände alle Fäden zusammenlaufen; zu seiner Unterstützung ward das Reichskanzler-Amt berufen, dessen Arbeitsgebiet mit dem Anschwellen der Geschäftslast unter „Staatssekretäre" aufgeteilt wurde, nämlich diejenigen des Innern, des Äußeren, der Justiz, der Marine, der Finanzen, der Reichspost und zuletzt für die Kolonien. Doch blieb die Einheit der Reichsleitung nach wie vor dadurch gewahrt, daß diese Staatssekretäre dem Reichskanzler unterstellt wurden und daß er die Verantwortung für die Gesamtpolitik des Reiches zu tragen hat. An der Spitze des Reiches steht der Kaiser, dessen Amt und Würde dem Hause Hohenzollern erblich, verbunden mit der preußischen Königskrone, über- lragen wurde; er ist der Vertreter des Reiches nach außen und innen, der oberste Kriegsherr für Heer und Flotte — für Bayern nur nach erfolgter Kriegserklä- rung —; er ist zugleich Landesherr für das Reichslaud Elsaß-Lothringen. Wie im norddeutschen Reichstage kommen Gesetze zustande durch überein- stimmende Beschlüsse des Reichstags und des Bundesrats; die Veröffentlichung erfolgt durch den Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers. Auf die Ge- setzgebung hat der Kaiser als solcher keinen Einfluß, sondern nur als König von Preußen durch das Recht, die preußischen Stimmen im Bundesrate anzu- weisen. Was vom Norddeutschen Bunde gesagt wurde, gilt auch vom Reiche: so ver- wickelt und schwerfällig die Reichsverfassung in solcher Darstellung erscheint, so
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