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1. Lesebuch für staatsbürgerliche Bildung - S. 30

1913 - München : Lindauer
30 Unser deutsches Vaterland. Zielen, zwischen Zeiten hoher Begeisterung und Willensanspannung und Perioden kleinmütiger Ernüchterung. Nicht immer gelingt es ihnen das Kleine mit dem Großen, das Enge mit dem Weiten zu verbinden und zu versöhnen. Am schwersten gelingt es der noch wenig erfahrenen Jugend: und Deutschland ist ein junger Staat. Auch im Innern dürfen wir über den Gegensätzen aller Art das Gemein- same nicht vergessen. Denn nur ein nach innen einiges Volk ist stark nach außen. Und da ist seit der Gründung des Reiches nicht alles so gewesen, wie es hätte sein sollen. Auf den enthusiastischen Aufschwung der 70er Jahre mußte eine Periode langsanier nüchterner Arbeit folgen, die an Irrtümern und darum auch an Enttäuschungen nicht arm war. Schroffe innere Spaltungen auf konfesfionellem und sozialem Gebiet trennten die Volkskreise und stellten die ideale Einheit in Frage: Kulturkampf und Sozialistengesetz sind gar schmerzliche nationale Erinne- rungen. Wirtschaftliche Interessen scheiden in harten Kämpfen Landwirtschaft, Industrie und Handel, Unternehmer und Arbeiter; scharf wird gestritten um Zoll-, Handels- und Börsenpolitik. Nicht immer wird der Streit sachlich und leiden- schaftslos geführt: oft wird über dem Trennenden das Einigende vergessen. Leicht beieinander wohnen auch in dem nationalen Leben die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen. So braucht ein Volk gleichsam ein nationales Gewissen, unl auf dieser Fahrt das große gemeinsame Ziel nicht zu verlieren: ältere Völker wie die Engländer und die Franzosen haben ein solches Volksgewissen, wir müssen es erst erwerben. Im Gefolge des politischen und wirtschaftlichen Auf- schwungs steigt der Reichtum und die allgemeine Lebenshaltung, aber in unlös- licher Verbindung damit auch die Neigung zu einseitig materieller Lebensauffassung und die Gefahr der Unterwerfung unter die ausschlaggebende Herrschaft des Geldes. Nationale Größe aber ergibt sich nur aus einer organischen Verbindung der mate- riellen und der geistigen Kräfte, aus dem Gleichgewichte zwischen Volkskörper und Volksseele. Jede einseitige Übertreibung führt zur Krankheit. Unsere Vor- väter haben im Sonnenglanze eines hochgesteigerten geistigen Aufschwunges die Bedeutung der nationalen und der darauf begründeten wirtschaftlichen Lebens- bedingungen übersehen; wir dagegen laufen Gefahr, in deren ausschließlicher Pflege die geistigen Interessen zu unterschätzen. Die Aufgabe der Enkel ist es, im po- litischen Wesen die beiden Richtungen zu verbinden, d. h. jenen festen, wahrhaft nationalen Patriotismus zu gewinnen, der das Parteiwesen belebt und erträgt, aber doch hoch darüber steht, der in der Weite des Weltbürgertums nicht auf- geht, aber sich auch in der Enge des rein materiellen und lokalen Strebens nicht verliert. Aus: Gustav Maier, Das Deutsche Reich im Zeitalter der Weltmächte. Ju „Schaffen und Schauen", Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin.
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