1912 -
Straßburg
: Bull
- Autor: Hauptmann, Emil
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule, Volksschule, Mittelschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Regionen (OPAC): Elsaß-Lothringen
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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der Staatsregierung rufen, als sie sich nicht mehr zu helfen wußte, als sie
sich dem Untergang nahe sah. Das war gegen Ende der 70 er Jahre des
vorigen Jahrhunderts. Da fing das Dampfschiff an, seinen Siegeszug durch
die Welt zu halten. Mit seiner Hilfe konnten die entferntesten Länder mit-
einander verbunden werden. Nun strömten die Waren herzu, vor allem auch
Getreide aus Ländern von großer Fruchtbarkeit, deren Äcker noch keiner
Düngung bedürfen, um reich zu tragen, in denen die Arbeitslöhne noch sehr
niedrig sind, aus deren weiten, ebenen Flächen die Maschine an Stelle des
Menschen tritt. Billiges Getreide in Massen kam herzu, es brauchte niemand
zu sorgen, daß es käme. So unaufhaltsam kam es, daß die Getreidepreise
unserer Landwirte reißend bergab gingen, daß der Landwirt kaum noch seine
Kosten herauszuwirtschasten vermochte. Jetzt ries er nach der Staatsregierung.
Aber nicht unsere elsaß-lothringische Regierung konnte helfen. Denn was zu
tun war, konnte nur die Reichsregierung aus sich nehmen: Die Grenzen
schließen, wenigstens Mauern, Zollmauern, errichten, daß sich der fremde
Strom nicht gar so übermächtig herüberwälzen konnte.
Nur die Reichsregierung besitzt die Machtmittel, Heer und Flotte,
solche Anordnungen auch aufrecht zu erhalten, nur sie ist Herr und Gebieter
an allen deutschen Grenzsäumen.
Der Zoll erhöhte den Preis des fremden Getreides (durchschnittlich
5 Mk. Zoll aus 1 Doppelzentner), so daß auch das inländische Getreide wieder
im Preise stieg; der Landwirt erfreute sich jetzt wieder eines höheren Gewinnes.
Bis zum heutigen Tage ist dieser Zoll bestehen geblieben, — und
bis zum heutigen Tage herrscht auch ein heftiger Streit darüber, ob dieser
Zoll erhalten bleiben muß oder nicht. Dem Landwirt ist damit geholfen.
Was sagt aber der Nichtlandwirt, der Handwerker, der Arbeiter dazu? Für
ihn wird doch das Getreide und damit das Brot teurer durch den Zoll.
Wenn für jeden Menschen Doppelzentner Brotgetreide im Jahre ge-
rechnet werden muß, so bedeutet doch der Zoll schon eine ziemlich fühlbare Er-
höhung des Brotpreises sür eine kinderreiche Familie. Wir wollen das Für
und Wider nicht weiter erwägen; wenn der Streit schon so lange dauert ohne
Entscheidung, so kann ihn der einfache Mann auch nicht entscheiden wollen.
Nur muß er zu verstehen und einzusehen suchen, warum die Reichsregierung
die Zölle geschaffen hat, obwohl sie wußte, daß damit eine kleine Verteuerung
des Brotes eintreten mußte.
Es ist die Ausgabe der Regierung, sür alle Stände und Berufe des
Reiches zu sorgen. Wenn es aber allen gut gehen soll, darf keiner notleiden.
Die Landwirtschaft z. B. will ja nicht nur verkaufen, sie muß auch kaufen,
Kleider, Geräte, Maschinen usw. Wenn sie ohne Gewinn oder mit zu