1910 -
Leipzig
: Voigtländer
- Autor: Heuß-Knapp, Elly
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Frauenschule
- Inhalt Raum/Thema: Gesellschaftskunde
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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und der Konsumtion. In der Regel kauft der Verbraucher direkt
vom Hersteller. Deshalb ist die Stadtwirtschaft die Stufe der
Kundenproduktion genannt worden.
§ 4. Die Volkswirtschaft.
Die dritte Stufe der wirtschaftlichen Tätigkeit, die Volks-
wirtschaft, setzt erst ein, als der Staat erstarkt und die Macht
der Städte gebrochen war. Die Landesherren versuchen ihr
Herrschaftsgebiet einheitlich zu gestalten. Die Verwaltung, die
Rechtsprechung, die Pflege von Landwirtschaft, Gewerbe und
Handel werden zu staatlichen Aufgaben, die großzügig von einem
Mittelpunkt aus geleitet werden sollen. Dieser Mittelpunkt ist
der absolute Monarch (siehe Teil I § 2 und § 16). Das
Ideal des absoluten Staates, wie er sich im 17. und 18. Jahr-
hundert herausgebildet hatte, ist es, das Staatsgebiet zu einer
selbständigen Wirtschaftseinheit zu machen, wie es vorher die
Städte gewesen waren. Gegen das Ausland ist die Grenze durch
Zölle gesichert. Alles Geld soll im Lande bleiben, darum wird
möglichst jede Einfuhr verboten. Dagegen ist die Ausfuhr von
Waren, die bares Geld einbringt, sehr geschätzt. Die Finanzierung
des Staates ist eine der wichtigsten Aufgaben. Um den Bürgern
genügende Mittel zu verschaffen — und damit Abgaben für den
Staat — werden nun das Gewerbe und der Handel geschützt
und gepflegt. Man hat für die Bestrebungen jener Zeit geradezu
den Begriff Merkantilstaat (mereator — Kaufmann) geprägt und
bezeichnet damit eine staatliche Politik, die das gesamte Wirt-
schaftsleben unter dem Gesichtspunkt der Steigerung der Erträge,
des Wohlstandes der Untertanen und der Fürsten behandelt.
Im 19. Jahrhundert wird die merkantilistische Politik abgelöst
durch die „liberale Wirtschaftsperiode". Die alten Gebunden-
heiten: Hörigkeit, Zünfte usw. werden gelöst, eine weitgehende
Verkehrs- und Gewerbcfreiheit soll an ihre Stelle treten und
allen Kräften des Wirtschaftslebens zu freier Entfaltung ver-
helfen (siehe Seite 94). Der Staat soll so wenig als möglich
in Handel und Gewerbe eingreifen. Diese rein liberale Wirt-
schaftspolitik (Manchesterrum) ist heute in wachsendem Maße mit
sozialen Gesichtspunkten durchsetzt, so daß man von einer dritten,
der „sozialen Wirtschaftsperiode" sprechen kann. Der Staat
greift wieder stärker in das Getriebe des Wirtschaftslebens ein,
erläßt Gesetze — wie z. B. die sozialen Schutzgesetze, um die
Schwachen vor Ausbeutung zu schützen. Er ist bestrebt, eine
gerechtere Verteilung der Güter innerhalb der Volkswirtschaft
herbeizuführen.