1902 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: Jungandreas, R., Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mehrklassige Volksschule
- Regionen (OPAC): Reuß (Jüngere Linie)
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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die Haus- und Feldarbeit leiden würde, litt es nicht und jagte die
beiden zuletzt unter harter Bestrafung auseinander. Der lernbegierige
Nikolaus hatte aber bereits die Kenntnis der Buchstaben erlangt und
sein Lehrer ihm heimlich ein Abc-Buch verschafft. Zu seinem Glück
bekam der Schüler ans einige Zeit einen lahmen Fuß, mußte nun das
Bett hüten und hatte die schönste Gelegenheit, seinen Selbstunterricht
fortzusetzen. Mit Hilfe seiner außerordentlichen Fassungsgabe konnte
er in kurzer Zeit lesen und hörte, um richtig aussprechen zu lernen,
Sonntags mit Aufmerksamkeit auf die Predigt. Nach damaligem
Brauche waren die Predigten stets sehr viel mit Latein durchflochten,
und dies veranlaßte den jungen Schmidt, sich der lateinischen Sprache
zu befleißigen. Mit Hilfe eines Rechtsgelehrten gelang ihm die Er-
lernung derselben ebenfalls leicht. Zeit zum Lesen und Studieren hatte
er bloß mittags bei Tische, Sonntags und des Nachts. Von dem
Schullehrer zu Mislareuth bekam Schmidt später einen Katechismus in
deutscher, lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache zum Geschenk.
Dies gab ihm die erste Veranlassung, das Griechische und das Hebräische
zu lernen. Die Kenntnis der Schristzüge eignete er sich beim Dreschen
an, indem er die Buchstaben mit Kreide an die Scheunenwand schrieb.
Dasselbe Verfahren wandte er auch bei Erlernung aller ferneren
Alphabete an. Seiner Lebensbeschreibung nach erlernte Nikolaus
Schmidt ferner noch rein durch Selbstunterricht nur mit Hilfe
verschiedener Grammatiken nach und nach die Kenntnis der chaldä-
ischen, syrischen, arabischen, ägyptischen, armenischen, äthiopischen,
illyrischen, jakobitischen, türkischen, persischen, medischen und tartarischen
Sprache.
Diese auf solche unerhörte Weise errungene Kenntnis verbreitete den
Ruf des gelehrten Bauern bald in weite Ferne. Verschiedene aus-
wärtige Professoren ließen den begabten Mann zu sich kommen, um
sich selbst von dem, was sein Ruf verkündigte, zu überzeugen. Im
Jahre 1633 wurde er nach Weimar an den Hof des Herzogs Ernst
gerufen. Der Herzog interessierte sich so für ihn, daß er ihn ganz an
seinem Hofe behalten und ihm allen möglichen Vorschub gewähren
wollte. Schmidt blieb auch längere Zeit dort, kehrte dann aber in sein
Dorf zurück. In gleicher Absicht ließ ihn dann Kurfürst Johann
Georg I. nach Dresden kommen und beschenkte ihn mit Geld und
Büchern. Überhaupt machte man ihm überall, wohin er gerufen wurde,
Geschenke an Büchern fremder Sprachen, so daß Schmidt zuletzt eine
starke und zugleich höchst seltene Bibliothek besaß. Er dagegen mußte
an den Höfen, die er besuchte, stets in allen ihm bekannten Sprachen
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