1902 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: Jungandreas, R., Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mehrklassige Volksschule
- Regionen (OPAC): Reuß (Jüngere Linie)
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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wollte dazu ein armes Waiselein aussuchen, aber siebe, es wurden
ibm gleich vier genannt, und er nahm sie in Gottes Namen auf,
und des folgenden Tages meldeten sich noch zwei, den Tag
darauf eins, dann wieder eins, und so gings fort, bis es am
16. November ihrer neun waren, welche er bei unterschiedlichen
Leuten unterbrachte und von einem frommen Studenten, Namens
Neubauer, dem nachherigen treuesten Genossen aller seiner
Arbeit, beaufsichtigen liess. Die 25 Thaler reichten da freilich
nicht weit; aber im Glauben war es angefangen, und der Glaube
sollte nicht zu Schanden werden ; Francke erhielt noch im Laufe
des Winters über 1400 Thlr. nacheinander, so dass er ein
eignes Haus für seine Armenschule kaufen konnte, in welches
er 1696 nun auch seine Waisen, deren Zahl inzwischen auf 18
angewachsen war, aufnahm. Der stete Anwachs der Zöglinge
hatte schon im Jahre 1697 den Ankauf eines zweiten Hauses
nötig gemacht; als aber auch diese beiden Häuser nicht mehr
zureichten, erkaufte Francke 1698 den vor dem Rannischen
Thore gelegenen Gasthof zum Goldenen Adler. Bei näherer Be-
trachtung zeigte sich aber auch dieser nicht gross genug, und
so entschloss sich denn Francke, obwohl er so wenig in Händen
hatte, dass er auch nicht einmal ein kleines Haus davon bauen
konnte, auf dem vor dem Gasthofe gelegenen Platze in Gottes
Namen den Grundstein zu dem jetzigen Hauptgebäude des
Waisenhauses zu legen. Dies geschah den 24. Juli 1698.
Mit Gottes Hilfe wurde das Gebäude fertiggestellt, und
noch heute steht es unerschüttert, ein Siegesdenkmal des Gott-
vertrauens und der Menschenliebe. Uber dem Eingänge prangt
in goldenen Lettern die Inschrift: „Die auf den Herrn harren,
kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“
An das Waisenhaus selbst schliefst sich eine grosse Anzahl von
Gebäuden, die teils noch unter Franckes eigener Leitung, teils
nach seinem Tode errichtet worden sind. Die Franckeschen
Stiftungen bestehen jetzt aus zwei Gymnasien, einer Realschule,
einer höheren Töchterschule, zwei Bürgerschulen, einer besonderen
Vorschule für solche Knaben, welche eine höhere Anstalt be-
suchen wollen, und zwei Freischulen. Ausserdem gehört dazu
ein Krankenhaus, das Francke selbst noch gebaut hat, ein
Witwenhospital, eine Buchhandlung und eine Apotheke. Mitten
unter diesen Anstalten aber steht, von ihnen völlig unabhängig
und doch aus gleichem Sinn hervorgegangen, die von dem edlen