1902 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: Jungandreas, R., Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mehrklassige Volksschule
- Regionen (OPAC): Reuß (Jüngere Linie)
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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wohnern die grausige Überzeugung auf, daß das furchtbare Element auch
der verzweifeltsten Anstrengungen spotte. Graf Heinrich Xxx. war gleich
anfangs in die Stadt gekommen. Anordnend, aufmunternd, Befehle er-
teilend, sprengte er von einem Orte der Gefahr zum andern. Als er aber
sah, daß alle Arbeit nur ein ohnmächtiges Ringen gegen den übermächtigen
Feind war, rief er den Löschmannschaften zu, daß sie das einzige noch
rettbare Gut, das Leben, retten möchten, und befahl ihnen, durch lautes
Schreien alle anderen zur Flucht anzutreiben. Trotzdem erstickten oder
verbrannten zehn Leute.
Hoffnungslos weicht der Mensch der G ö t t e r st ä r k e.
Von den Bewohnern der inneren Stadt waren nämlich noch viele
in den brennenden Häusern beschäftigt, ihre Habseligkeiten in die tiefen
Höhlen und Keller zu räumen. In ihrem Eifer merkten sie die Gefahr
nicht, die drohend über ihrem Haupte schwebte. Erst bei dem Gerassel
der fliehenden Spritzen und bei dem Geschrei der Mannschaften erkannten
sie ihre furchtbare Lage. Aus allen Thüren drang es jetzt heraus, die
glühenden Straßen füllten sich mit wogenden Menschenmassen; aber auf
welchem Wege sollte man aus dein Glutmeere ins Freie gelangen? Die
Flucht über den Nikolaiberg war unmöglich, denn die Eingänge hinauf
waren durch Feuer versperrt. Alle Thore brannten, das Leumnitzer allein
war noch unversehrt; aber die dahin führende Straße, der Steinweg, stand
schon in lichten Flammen. Hunderte waren rings eingeschlossen. Sicher
war ihnen der qualvolle Tod, wenn sie blieben; möglich die Rettung aus
dein Feuer nur durch das Feuer hindurch: der Strom brach sich Bahn
über den brennenden Steinweg. Mitten im Gewühle fliehende Spritzen,
zum Teil mit Kindern beladen, die nach den Eltern schrieen, daneben
jammernde Väter und Mütter, die vergebens ihre Kinder suchten; aber
Umkehr war unmöglich. Über sich den vom Sturme gejagten Fcnerregen,
hinter sich, neben sich das Verderben, verließen die Bewohner hände-
ringend die untergehende Vaterstadt. Für die Bewohner der Sorge war
der untere Ausgang durch die brennende Schloßgasse versperrt. Darum
stürzte die wilde Jagd der Fliehenden die Leipziger Straße hinauf teils
durch Zschochern, teils durch das nur noch wenige Minuten stehende
Biblacher Gatter ins Freie. Grenzenlos war die Verwirrung im Waisen-
und Zuchthause. Da gab es Blinde, die geführt, Taubstumme, die ange-
wiesen, Kinder, die geleitet, Gebrechliche, die getragen werden mußten.
Die Kinder wurden auf großen Umwegen in den Waisenhausgarten, die
dem Ersticken bereits nahen Züchtlinge unter starker Bedeckung auf das
Feld geführt.
Alles rennet, rettet, flüchtet.