1906 -
Wittenberg
: Herrosé
- Hrsg.: Polack, Friedrich, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
196 Vii. Der Hof und seine Ordnung, die Haustiere und ihre Pflege.
Aber die Gegend war arm, — arm auch an Bienenfutter. Nur
hier und da ein Blümchen, nirgends eine üppige, farbenreiche, honig-
ftrotzende Feldblumensaat. Sollte er Bienenkörbe anlegen, ofjne sie
unterhalten zu können? Sein guter Kopf half ihm. Ohne zu zögern,
versorgte er sich mit Samen von Feldblumen. Nun sah man ihn an
Regentagen in der Umgebung des Dorfes spazieren gehen, um längs
der Fußsteige, und wo nur überhaupt unbenutzter Boden war, Samen
auszustreuen.
Die Dörfler, die tf)u so wirtschaften sahen, hielten ihn für einen
Narren, und bald war's in der Umgebung voll von gut oder schlecht
erfundenen Histörchen, die den ehemaligen Stadtherrn, bei dem es tut
Kopse nicht richtig sei, uid)t ins günstige Licht stellten.
Aber die Saat war bestellt: Thymian, Luzerne, Malven, Klee,
Buchweizen, Farbkraut, Wau usw., — lauter fremde Gäste in dieser
Gegend, — waren fröhlich ausgegangen, und in seinem Garten pflanzte
der Stadtherr Bäume, deren Blüten den Bienen willkommen sind.
Wenn nun der Frühling kam, gab es Blumen über und über;
die Bienen fanden reiche Ernte und vervielfältigten sich in eben dem
Maße. Es ist unmöglich zu beschreiben, wie sich die Flirren der Um-
gebrrng in kurzer Zeit veränderten. Die Natur schien wie neugeboren.
Das Gedeihen der Bienenstöcke des neuen Landwirts überraschte
die Dörfler. Die Zahl der Bienenzüchter int Dorfe vermehrte sich.
Unterrichtet von ihrem praktischen Lehrer, pflanzterr auch sie Frucht-
bärrme irr ihren Gärten, Hagebutten an den Zäunen; und der Boden,
der zu mager für Getreide war, trug nun Luzerne und fetten Klee.
So hatte man reichlich Viehfutter und für die Bienen Blüten genug.
Nach zehn Jahren sah es in dem Dorfe ganz anders aus. Der
Boden, der zweckmäßig bearbeitet und gedüngt worden war, lohnte
durch reichlichen Ertrag; die Haustiere waren wohlgenährt; der Handel
mit Honig und Wachs brachte nicht unerheblichen Gewinn; Wohl-
habenheit war an die Stelle der Dürftigkeit getreten, und das Gedeihen
des einzelnen sicherte das Glück aller.
Das verdankten die Dörfler dem Stadtherrn und seinen Bienen.
„Wo das Dorf ist?" fragst du. Man kann nicht fehlen. Wenn du
in eine Gegend kommst, wo sich die Flur wie ein blumiger Gürtel um
eiu Dörfchen schlingt, wo die Menschen und die Bienen gleich emsig
sind, wo man dir freundlich zunickt, wenn inan aus deinem Gesichte
die stille Freude an bescheidenem Glück und Wohlstand liest: da ist das
Bienendors. Such' nur ein wenig daheim, du findest es schon! —
R. Niedergesäß.
144 (156). Die Bienen.
Die Bienen sind unter allen Insekten, vielleicht unter allen Tieren
diejenigen, welche unsere Bewunderung am meisten verdienen. Sie
verdienen sie nicht bloß wegen des großen Nutzens, welchen sie uns
gewähren, sondern auch wegen ihrer sinnreichen Handlungen und häus-
lichen Tugenden. Ihr Haushalt ist ein glänzendes Vorbild von gegen-
seitiger Zuneigung, von Aufopferung für das gemeinsame Wohl, von