1906 -
Wittenberg
: Herrosé
- Hrsg.: Polack, Friedrich, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Xii. Gesetz und Recht.
Wandel geregelt und jedem das Maß seiner Freiheit zugewiesen
wurde, damit er die änderet: nicht in ihrer: Ansprüchen auf die gleiche
Freiheit beeinträchtigte. Und nicht nur n:::ßte bestimmt werden, was
als Recht gelten sollte, sondern auch, wer es zu verwalten und dar-
über zu wachen habe, daß es nicht übertreten würde.
Schon das Zusammenleben nomadischer Hirtenstämme istun-
denkbar ohne gewisse rechtliche Bestimmungen und ohne die Unter-
ordnung der Menge unter ein gemeinsames Oberhaupt. Wieviel
tveniger laßt sich eine aus so vielen und so verschiedenartigen Bestand-
teilei: bestehende Gemeinschaft denken, wie diejenige, in der tvir leben,
ohne daß ::och eine weit genauere Bestimmung dafür getroffen ist, daß
jeden: das Seii:e werde: den: Käufer und Verkäufer, dem Gläubiger
und Schuldner, den: Herrn wie den: Diener, dem Untertanen wie den:
Fürsten usw. Ein solches streng geord::etes, wohl gegliedertes Ganze
aber, worin jeden: seine Rechte und Pflichtei: angewiesen sind und
für die Vollziehung beider gesorgt wird, ist der Staat.
Mit diesen: Worte haben tvir die vollkommenste Form des gesell-
schaftlichen Zusammenlebens bezeichnet. Wie der Ackerbau die Grund-
lage für alle höhere Gesittung ist, so ist der Staat die vollendetste Aus-
bildung derselbe::; alle Güter eines gebildeten Volkes findet: in seinem
Schoße ihren Schutz und ihre Pflege.
Was sollte aus uns werden, wenn plötzlich alles das aufhörte,
ivas wir jetzt an staatlicher Fürsorge genießen; wenn sich außer unsere::
nächsten Angehörigen niemand mehr um uns bekümmerte; tveni: wir
Haus und Hos, Handel und Wandel und selbst unser Leben und
Sterben dem bloßen guten Willei: der Menschen anheimstellen müßten;
wenn jeder sich' selbst zu schützen hätte und uns keine Obrigkeit be-
wachte! Wie schnell wären alle die Güter vernichtet, deren wir uns
jetzt erfreuen, wie rasch würden tvir in jenen Zustand zurücksinken,
tvo jeder allein für sich sorgt und nur das Recht des Stärkeren gilt!
Was würde aus allen den gemeinnützigen Einrichtungen werden, die
jetzt unser Leben fördern und uns Sicherheit oder doch, tveni: das
Unglück einmal nicht zu verhüten ist, Hilfe bieten, und zwar nicht
nur gegen die Eingriffe der Menschen, tvie Diebstahl, Mord usw.,
sondern auch gegen zerstörende Naturgewalten, tvie Feuers-, Wassers-
und Hungersnot, verheerende Krankheiten usw. Es würde sich das
Wort Schillers erfüllen:
„Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
sich alle Bande frommer Scheu;
der Gute räumt den Platz dem Bösen,
und^alle Laster^waltenarei."
Und wenn tvir etwa meinen wollten, dafür sei der Staat, den
sich überhaupt manche fälschlich nur als einen unbegüemen Gebieter
und Steuerforderer denken, nicht notwendig, das Nämliche ließe sich
auch durch eine einfache Verabredung der Bürger untereinander er-
reichen: so fragt euch nur, wie lange es mit dem guten Willen aller
einzelnen Mitglieder einer solchen Gesellschaft dauern würde, an der
jemand nur teilnähme tvie etwa an einem Turnvereine oder Sänger-